Stefans Marokkotour 1995 - Bericht


Langsam öffnete sich die Fähre und ich betrat Marokko, ein fremdes Land - hier waren sogar die Gerüche neu. Schon an der Grenze konnte man den Unterschied zu Europa sehen. Männer und Frauen drängten sich geballt um das Grenzhäuschen und warteten auf ihre Pässe. Schlepper versuchten aufdringlich ihre Dienste anzubieten. Zwanzig Mark Bakschisch halfen ungemein, da die Reisepässe säuberlichst getrennt wurden. Nicht nach Staatsangehörigkeit sondern nach der darin befindlichen "Spende". Links mit, Rechts ohne. Zuerst wurde der Stapel mit den "Spenden" bearbeitet und erst als alle mit einer kleinen Überraschung gefüllten Pässe abgearbeitet waren, griff man zu den "lästigen" leeren Pässen. Nach zirka 30 Minuten hatte ich die Grenze überschritten. Andere Leute die ich traf, benötigten über zwei Stunden, hatten aber auch auf die "Spendenzahlung" verzichtet.  Am Tag darauf begab ich mich auf den Weg in den Süden. Durch eine leicht hügelige Gegend ging es Richtung Guercif. Mein Hirn kochte unter dem Helm und Abkühlung fand man nur an den motorbetriebenen Brunnen, die mit ihrem ohrenbetäubenden Lärm zur Bewässerung der Felder dienen. Auf der Strecke zwischen Sefrou und Midelt konnte ich die schwersten Regenfälle Marokkos seit fünf Jahren beobachten, welche sich in den Bergen des mittleren Atlas ergossen, begleitet von heftigen Blitzen und dumpf grollendem Donner. Hinter Zeida bog ich auf eine kleine, einspurige, nach zirka drei Kilometern unbefestigte Straße ab, immer das Gewitter vor Augen. So beschloss ich eine Schlafgelegenheit zu suchen und nicht die Fahrt in der bereits einsetzenden Dunkelheit auf dem immer schlechter werdenden Weg fortzusetzen. Alle Hoffnungen auf eine geeignete Stelle zum Campieren hatte ich bereits aufgegeben, als mein Bike hoppelnd und mit laut scheppernder Alu-Box - die hatte ich einige Kilometer zuvor an einem in die Piste hineinragenden Felsvorsprung abgerissen und provisorisch mit Spanngurten befestigt - vor einem Schild ausrollte, dass den Weg zu einer Herberge zeigte. Kaum hatte ich gestoppt, kam schon ein kleines Mädchen angerannt und sprach mich auf Arabisch an. Als die Kleine bemerkte, dass ich nun "gar nichts" verstand, rief sie nach ihrem Vater. Dieser ertränkte mich in einer Flut von Worten, die sich recht französisch anhörten, von denen ich aber bis auf "manger" keines verstand. Dies bejahte ich doch gleich und schob noch das internationale Zeichen für schlafen hinterher - zwei flach aufeinander gelegte Hände unter leicht auf die Seite geneigtem Kopf.  Die Gewitter hatten am Tag zuvor ganze Arbeit geleistet. Regen verwandelte die trockene Erde in roten Schlamm. Fröhlich plätscherte ich durch die Nässe, schwang mich durch den zertrampelten Schlamm und wurde immer übermütiger. Doch bei einem Loch wurde mein Drang jäh gebremst. Ein großer Stein lag verborgen im trüben Wasser, so dass ich die erste Übung im Lenkerüberschlag rücklings in der Pfütze beendete. Als ich wieder aufblickte, sah ich geradewegs in das breit grinsende Gesicht eines Berbermädchens. In Imilchil angelangt wurde langsam das Benzin knapp. So fragte ich in einem Café nach. Der Besitzer schickte einige Jungen los, die bald darauf mit 5 Liter-Speiseölkanistern ankamen. Insgesamt nur 20 statt der erhofften 30 Liter. Mit Bedauern erklärte man mir, dass zur Zeit leider nicht mehr Benzin im Ort vorhanden sei.  Weiter ging die Fahrt durch Dörfer mit wenigen Häusern und sehr armen Bewohnern, deren Kinder mich am Ortseingang mit einem Steinhagel empfingen. Am Ortsende von Agoudal traf ich dann zwei Italienener, Alexandro und Nicola auf Africa Twin und BMW GS, mit denen ich mich für die nächsten Tage zusammenschloss. 16 Kilometer weiter, bereits in der Georges du Dades, kam es meinerseits zu einem ungeschickten Umfaller auf einem Murenfeld, wobei mein Tank leck schlug. So waren wir gezwungen in dem idyllischen Hochtal zu nächtigen. Ich war buchstäblich vom Helm bis zu den Schuhen durchnässt, mit Staub bedeckt, müde und schlapp. Und jetzt noch die Reparatur meines Tanks. Nicola meinte nur "Nett hier, wirklich schön!".   Seit einigen Tagen hatte ich keine anständige Mahlzeit mehr gegessen und vertilgte Sardinen mit den Fingern. Die Nacht war romantisch einsam mit einem bis dahin nicht gesehenen klaren Sternenhimmel, brachte aber eine durchdringende Kälte mit. Der nächste Morgen weckte uns mit Sonnenstrahlen, die uns die Kälte aus den Gliedern leckte. Nomaden zogen mit ihren Kamelen durch die Dorngrasgewächse, ein wahrhaft kärgliches Leben. Mit vereinten Kräften packten wir die Motorräder. Ich selbst war noch so erschöpft, dass ich den Motor startete, den Seitenständer hochklappte und beim Versuch loszufahren einfach umfiel. Sehr holprig und steinig führte die Piste hoch auf 3000 Meter. Eine großartige Strecke mit einem überwältigenden Ausblick auf den Canyon des Dades. Schmal - gerade einmal so breit wie ein Fahrzeug - und kurvig führte die Piste halsbrecherisch steil an senkrecht abfallenden Felswänden entlang. Oftmals taten sich mehrere hundert Meter tiefe Abgründe neben dem Weg auf. In Ouarzazate gab es erst einmal einige Tage Pause und Erholung für uns, Essen und ein richtiges Bett. 165 Kilometer gute Teerstraße trennten uns von Zagora, meinem südlichsten Punkt der Reise.  Landschaftlich sehr schön und grün, führte die Route durch das Drâa-Tal. Ich hatte gefühlt, dass die Luft heißer und immer heißer wurde und sie schlug mich wie ein in heißes Wasser getauchtes Handtuch ins Gesicht. In Zagora angekommen trennte ich mich von meinen italienischen Freunden. Ich selbst begab ich mich auf den Campingplatz Sindibad, stellte mein Zelt auf, traf dort neue Leute und erwartete sehnsüchtig die Nacht. Doch die Dunkelheit täuschte nur Kühle vor und die Hitze machte jede Hoffnung auf Schlaf zunichte. So verbrachte ich einige Tage in der Backofenglut bei Temperaturen um 50°C und dachte an die erfrischenden Wasserlöcher im Atlas. Wie gerädert trat ich den Rückzug an, fuhr das Drâa-Tal hinauf, immer in Sichtweite des mit erfrischendem Nass gefüllten Drâa. Ich konnte es nicht länger aushalten. Nächste Abfahrt runter, weg mit den Klamotten und rein ins Wasser. Unbeobachtet hatte ich mich gefühlt, als ich im Wasser planschte, doch als ich aus dem Fluss stieg, erkannte ich meinen Irrtum. An der Brücke standen drei junge Frauen. Eine hatte eins jener Gesichter, die man so oft malt und so selten sieht, war groß und schlank und hatte wirklich wundervolle Augen. In jedem Fall war sie sehr schön. So hatte es sich doch gelohnt auf schlechten Wegen 8000 Kilometer weit zu reisen.