Frankreich 2001/2: Cevennen ⇒ Bericht

"Das soll die Nationalstraße sein?" fragt mich Vroni erstaunt. Wir sind gerade mit dem Auto von der Autobahn Lyon - Marseille runtergefahren, den Anhänger mit unseren beiden Transalps beladen und rollen auf der N 104 von Privas Richtung Aubenas. "Wie sehen dann erst die Landstraßen mit der dreistelligen D-Nummer aus, die noch vor uns liegen?" ergänzt sie ihre Frage. Als wir nach über zwei Stunden die knapp 100 Kilometer bis Genolhac geschafft haben, sind auch wir geschafft. Die zahllosen Kurven machen mit dem Motorrad bestimmt Spaß, mit dem Anhänger-Gespann ist es aber eine üble Kurbelei. Egal, nun sind wir endlich da und haben ein schönes Zimmer in einem Logis de France Hotel gefunden. Maschinen abladen, Zimmer beziehen und ab unter die Dusche.

Der Morgen weckt uns mit plätscherndem Regen. So ein Mist, die ganze Anfahrt über hatten wir strahlenden Sonnenschein und jetzt gießt es in Strömen. OK, wir sind ja flexibel und steigen nach dem Frühstück in die Dose. Bei dem Wetter können wir uns ja mal eines der umliegenden Städtchen anschauen. Wir entscheiden uns für Alès. Nach der zum Glück nur kurzen Parkplatzsuche, spazieren wir beschirmt durch die Straßen. In der Touristeninformation decken wir uns mit Infomaterial ein und setzen uns dann in ein überdachtes Freiluft-Café zur weiteren Planung. Zunächst kaufen wir ein paar Detailkarten der Cevennen, dann marschieren wir im strömenden Regen zu einem Museum, etwas außerhalb des Stadtkerns. Nach einiger Sucherei finden wir es endlich, es hat geschlossen! Das ist halt der Fluch der Nachsaison, es gibt zwar kaum andere Touries, aber die "Attraktionen" sind geschlossen. Wenigstens haben das Internet-Café und die Restaurants geöffnet ...

So schlecht das Wetter gestern war, umso besser ist es heute. Ein strahlend blauer wolkenloser Himmel begrüßt uns und lädt zur Entdeckung auf kleinen Sträßchen ein. Wir suchen uns möglichst kleine Wege aus der Karte und kurven zunächst grob Richtung Mende. In Le Bleymard finden wir ein sonniges Straßencafé für unser zweites Frühstück. Ein ganzer Pulk mit mehr oder weniger Hard-Enduros trifft sich lautstark und etwas orientierungslos an der gegenüberliegenden Kreuzung. Als sie sich über den Weg geeinigt haben, ist es wieder ruhig und einsam. Hinter dem Col de la Loubiere halten wir uns südlich, erreichen bei St. Etienne die N 106, auf der wir ein paar Kilometer überbrücken und biegen bei Florac nach Westen ab. In der 1:150.000er Michelin-Karte ist dieser Weg rot-weiß gekennzeichnet, das bedeutet lt. Kartenlegende "schwierige oder gefährliche Wegstrecke". Das gilt allerdings nur für mehrspurige Fahrzeuge, für den Motorradfahrer heißt das sehr enge Kurven und steile Auf- bzw. Abfahrten, also genau das, was wir hier suchen. Bei Castelbouc erreichen wir den Tarn, folgen bis La Malène seinem Lauf, unterbrochen durch ein schönes Eis in Ste. Enimie. Wir überqueren dann den Tarn und erklimmen auf einer "rot-weißen" Strecke die steile Wand des Gorges, folgen dem Hochplateau nach Süden und kurven dann über St. Pierre zur D 996 hinab. Diese überqueren wir jedoch nur und lassen uns von den als drittklassig bezeichneten Sträßchen über Lanuéjols und Trèves an den Gorges de la Dourbie tragen. Dabei lassen wir keinen möglichen Schlenker, den die Wege hier machen, aus. Nach einer Fotopause will ich den Motor starten, aber das Anlasserrelais klackert nur. Dann macht es leise "knitz", als wenn eine Sicherung durchbrennen würde. Ich kontrollieren die üblichen Sicherungen, aber alle sind in Ordnung. Dann finde ich wenigstens den Fehler, das Massekabel an der Batterie ist lose. Nachdem ich es wieder festgezogen habe, springt die Maschine anstandslos an. Allerdings geht das GPS-Gerät nun nicht mehr - aha! Ich suche die separat verbaute Sicherung des GPS, und die ist es auch, die den Geist aufgegeben hat. In Ermangelung eines Ersatzes, pfusche ich eine Überbrückung zusammen, nun funktioniert wieder alles zur Zufriedenheit und es kann weiter gehen.

Nachdem wir den Mont Aigual hinaufgestiegen sind und mit 1567 Metern den höchsten Punkt dieser Tour erreicht haben, müssen wir so langsam an die Rückfahrt denken. Wir haben schon Spätnachmittag und lt. Fahrradtacho haben wir gerade mal einen Schnitt von 32 km/h geschafft. Es könnte also lang werden heute Abend. Trotzdem suchen wir uns noch die kleinsten Streckchen heraus, vor lauter "Angst" etwas verpassen zu können. Wir streifen St. André und gelangen in der Dämmerung über Le Pompidou nach Ste. Croix. Dort wählen wir die D 28 nach Norden und erreichen Cassagnas. Mittlerweile ist es schon richtig dunkel geworden und nur mit Hilfe unserer kleinen Taschenlampen können wir überhaupt noch die Karte lesen. Kurz vor St. Privat geht Vronis Transalp der Sprit aus. Ich lege die Maschine auf die Seite, damit der Restsprit noch zum Benzinhahn laufen kann und der Motor springt noch mal an. Meine Alp hat zwar einen größeren Tank drauf, den wir anzapfen könnten, aber so im Dunkeln habe ich keine Lust darauf mir beim Lösen des Benzinschlauchs die Finger am Krümmer zu verbrennen. Also tauschen wir ab hier die Motorräder, da ich die nötige Kraft habe, um die Maschine ab und zu mal auf die Seite zu legen. Zum Glück geht es hier einige Kilometer bergab, so dass ich einige Zeit mit abgeschaltetem Motor herunterrollen kann. An einer Kreuzung verfahren wir uns und machen, vorerst unbewusst, einen größeren Umweg. Nun geht es wieder mit Motorkraft bergauf. Zweimal muss ich die Maschine umlegen, bis wir die Kreuzung in Le Paulin erreichen. Ab hier, so klärt uns ein Schild auf, sind es noch 13 Kilometer bis Genolhac - ob der Sprit noch reicht? Ungefähr die erste Hälfte der Strecke kann ich zum größten Teil ohne Motorkraft rollen. Doch das letzte Stück geht es nur noch bergauf. Komischerweise ruckt der Motor kein einziges Mal mehr und zieht sauber dem Ziel entgegen, dass wir dann auch ohne Probleme erreichen. Das soll uns eine Lehre gewesen sein. Morgen tanken wir schon nach 100 Kilometern, nehmen wir uns zumindest vor, damit wir abends nicht so in die Bredouille kommen.

Heute wollen wir unter anderem einige der Strecken unter die Räder nehmen, die wir gestern, auf dem Heimweg, links liegen lassen mussten bzw. die wir im Dunkeln gefahren sind. Natürlich geht's erst mal zur Tankstelle, die 300 Meter schafft die Transalp dann auch noch. Mit prall gefüllten Tanks fahren wir zunächst nach Vialas. Ab hier halten wir uns südlich und stoßen auf die Kreuzung, an der wir gestern, im guten Glauben, falsch abgebogen sind. Wir überqueren die D 52 und nehmen gleich darauf eine schöne "rot-weiße", an der ein dreisprachiges Schild vor den Gefährlichkeit des Weges warnt. Bald darauf finden wir einen Abzweig, der in einen einfachen Feldweg übergeht und überqueren, nun offroad unterwegs, nach einigen Kilometern einen kleinen Kamm. Nicht weit hinter dem Kamm treffen wir wieder auf den geteerten Weg. Na ja, zumindest diese Strecke war weder gefährlich noch schwierig. Dann müssen wir wieder ein Stück auf einer Nationalstraße überbrücken. Hier stehen wir an einer Baustelle hinter einem LKW und einigen Autos. Als der LKW-Fahrer uns sieht, winkt er uns nach vorne. Der Bauarbeiter, der den Verkehr regelt, winkt uns gleich bis zur Spitze der Schlange. Super, das ist uns in Deutschland noch nie so passiert. Keine drei Kilometer weiter, biegen wir endlich wieder auf eine kleine Straße ab. Einige Biegungen weiter geht es links in einen kleinen Weg, Stichwort "rot-weiß", der uns durch einen regelrechten Kastanienwald führt. Überhaupt gibt es in den Cevennen Unmengen an Kastanienbäumen und zwar die essbare Sorte, leckere Maronen. Überall wo die Äste die Sträßchen überragen, und das ist wirklich fast immer der Fall, liegen herabgefallene und teilweise von Fahrzeugen zermantschte Kastanienschalen und natürlich die braunen Früchte selbst auf der Fahrbahn. Zum Glück sind die Wege meist so schmal und kurvig, dass man eh nicht schnell fahren kann. Wir machen einen Bogen durch das Vallée-Française, erreichen Ste. Croix, durch das wir gestern schon einmal gekommen sind, biegen dann aber nach Süden ab und nehmen die nächste "rot-weiße" in Angriff. Als wir zwischen einigen einsamen Häusern hindurchfahren, finden wir eine kleine Koppel mit einigen Lamas. Wir stellen die beiden Zweizylinder ab und gehen näher an den Zaun. Genauso neugierig wie wir sie anstarren, glotzen die "Südamerikaner" auch uns an, kommen sogar näher. Vielleicht erwarten sie etwas zum futtern? Auf der Koppel wächst nichts und im Garten nebenan leuchten, trotz der fortgeschrittenen Jahreszeit, rote Tomaten und Paprikas neben Artischocken und grünem Gemüse. Wer da keinen Hunger bekommt!

Wir überqueren den unspektakulären Col de l'Asclier, winden uns den Berg hinab, um bald darauf den Weg zum Col de la Triballe zu erklimmen. Nachdem wir das Flüsschen Rieutord überquert haben, halten wir uns wieder ostwärts, bevor wir nach Norden drehen und bei Lasalle den Einstieg in eine weitere "rot-weiße" suchen. Doch zunächst ist das Knurren im Magen stärker, als der Hunger nach Kurven. Wir folgen der Beschilderung zu einem Gîte de Etappe und werden in Soudorgues fündig. Der "Hofhund", ein großes schwarzes Etwas, freut sich uns zu sehen und kommt schwanzwedelnd auf uns zu. Während er uns ausgiebig beschnüffelt und um Streicheleinheiten bettelt, fragen wir sein Frauchen, ob das kleine Restaurant geöffnet wäre. Offen wäre es schon, meint sie, aber es gäbe nur Getränke und Sandwiches. Das ist ok, wir nehmen jeder ein Stück würzigen Schafskäse mit Baguette und trinken dazu Cafè au Lait und Juis d'Orange. Als die Dame serviert hat, stellt sie uns noch (kostenlos) ein Tablett voll Trauben hin, zeigt uns die Toiletten und sagt, dass sie nun weg müsse. Wir sollten in Ruhe zu Ende essen und alles so stehen lassen, wenn wir weiterfahren würden. Und schwupps, ist sie schon weg. Der liebe aber aufdringliche Hund liegt auf unseren Füssen und ist ganz verrückt vor lauter schmusen wollen. Als wir weiterfahren, rennt er uns noch ein ganzes Stück weit hinterher, bevor er sichtlich traurig zurück bleibt.

Über einen kleinen Umweg kommen wir an einen kleinen See, obwohl, Teich wäre wohl der treffendere Ausdruck. Auf der Karte ist eine kleine Piste eingezeichnet, die hinter dem Gewässer beginnt und einige Kilometer weiter in ein Dorf mündet. Die wollen wir ausprobieren. Zunächst führen einige ausgefahrene Spuren über eine steinige Wiese und durch ein trockenes Bachbett. Dahinter ist der breite Pfad eher als Fahrspur zu bezeichnen, die Steine nehmen aber zu. Wir tuckern zwischen zwei verfallenen Häusern durch und folgen den Spuren bis zu einer steilen stark ausgewaschenen Auffahrt, deren Überwindung uns jedoch zu heftig erscheint. Wir drehen lieber um und suchen uns einen geeigneteren Weg. Außerdem wollen wir nicht den gleichen Fehler wie gestern begehen und ohne Sprit im Dunkeln dastehen. Wir suchen uns wieder besonders kleine (Um-) Wege, die uns auf ca. 30 gefahrenen Kilometern gerade mal 3 Kilometer Luftlinie weiterbringen. Über die "Kreuzung der Winde" gelangen wir nach Soustelle, fahren von dort aus nach La Grande Combe, wo wir den Gardon überqueren. Vor Bessèges erreichen wir das Ufer der Cèze, wenden uns dort aber wieder nach Westen und folgen dem mäandernden Band des Flüsschens Le Luech. Unterwegs tanken wir die Maschinen wieder auf. Entgegen unserer selbst auferlegten Pflicht, rechtzeitig die Spritvorräte aufzufüllen, haben wir nämlich wieder geschludert und Vroni fährt schon seit einigen Kilometern auf Reserve. Tatsächlich ist es aber nicht einfach (offene) Tankstellen zu finden, wenn man sich hauptsächlich auf kleinen und kleinsten Wegen fortbewegt. Die restlichen Kilometer zum Hotel hätten wir eigentlich auch so geschafft. Egal, für heute ist es sowieso genug. Warme Duschen und ein schönes Abendessen haben nach einem anstrengenden aber vor allem schönen Tag schließlich auch ihren Reiz. Bei den vielen Maronen, die wir heute plattgewalzt haben, fällt uns die Wahl des Nachtisches leicht: Maronencreme auf Vanilleeis!

Heute haben wir wieder Pech mit dem Wetter. Es gießt in Strömen. Da es sowieso unser letzter Tag hier unten gewesen wäre, beschließen wir schon heute nachhause zu fahren, statt im Regen zu hocken. In unserer Erinnerung bleiben zahllose Kurven, einsame Landschaften, endlose Wälder und der Geschmack von Maronen, von denen wir reichlich im Gepäck haben.

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