Italien 1994: Ligurische Grenzkammstraße ⇒ Bericht

Wir haben endlich Ende Mai, d. h. der Weg in die Berge dürfte wieder frei sein. Früher im Jahr sind viele Pässe, besonders die geschotterten, noch schneebedeckt. Auf unserer Wunschliste stehen die Assietta-Kammstraße, die Ligurische Grenzkammstraße, der Col de Tende und noch einige kleinere unbekannte Strecken. Nach dem Motto Nomen est Omen, werden unsere Transalps gepackt und früh am Morgen, noch in der Dunkelheit fahren wir los. Die erste Etappe auf der Autobahn zur Schweizer Grenze macht zwar keinen besonderen Spaß, doch durch den guten Windschutz unserer Verkleidungen machen wir zu einem guten Schnitt. In der Schweiz geht es endlich auf Landstraßen und über Passhöhen weiter bis ins italienisch-französische Grenzgebiet. Am Nachmittag sind wir in Susa, am Fuße der Assietta Kammstraße. Bei einem Cappuccino beschließen wir, noch heute über den Col de Finestre auf die andere Seite des Gebirgszuges hinüberzufahren.

 Nachdem wir bezahlt haben, entlässt uns die nette Bedienung mit einem süßen Lächeln auf den Lippen in die Wildnis und wir brausen ungestüm davon. Zunächst aber haben wir Schwierigkeiten den "Einstieg" zur Assietta zu finden. Wir fahren hin und her und fragen schließlich einen Bauern am Wegesrand nach dem Weg. Der gute man sagt uns, dass wir die vor uns liegende Einbahnstraße entgegen der vorgeschriebenen Fahrtrichtung entlang fahren müssen um auf den Berg zu kommen. So fahren wir mit einem mulmigen Gefühl (in unserem nach deutschem Recht empfindenden Bauch) die Straße in "falscher" Richtung hinauf. Mit jedem Kilometer wird sie enger und kurvenreicher, schließlich hängt eine Serpentine an der anderen. Ein Kleinlaster mit singenden Waldarbeitern kommt uns viel zu schnell entgegen, wir fahren ja in falscher Richtung und sie denken, es kann uns nichts entgegenkommen. Mit weit aufgerissenen Augen weicht der Fahrer aus, so gut es auf der engen Straße geht. Zum Glück haben wir das entgegenkommende Fahrzeug schon gehört und sind schon von vornherein auf die rechte Böschung ausgewichen. Im Rückspiegel sehe ich noch wie der Fahrer winkt aber mehr zum Gruß als zur Beschimpfung und weiter geht die Fahrt. Als wir aus einem Waldstück herauskommen, geht der Asphalt in Schotter über. Übermütig lassen wir hie und da das Hinterrad durchdrehen oder vor einer Kehre blockieren. Weiter oben ist der Weg stark zerfurcht und von Schmelzwasser ausgewaschen, an manchen Stellen müssen wir durch matschige Pfützen fahren. Die Stellen mit Schneeflecken nehmen immer mehr zu, natürlich liegt der meiste Schnee in den Kurven und wir müssen vorsichtig balancieren um heil um die Ecken zu kommen. Bald kommt das Fort auf der Passhöhe in Sicht. Doch welche Enttäuschung, die Kehre vor uns ist durch eine große Schneewehe unpassierbar. Mehrmals versuche ich unsere beladenen Maschinen durch den knietiefen Schnee bergauf zu manövrieren. Nachdem ich zweimal umgefallen bin gebe ich auf. Bis zur Dämmerung kann es nun nicht mehr lange dauern, deshalb wollen wir hier oben irgendwo übernachten.

Da das Gelände hier oben ziemlich feucht und uneben ist, fahren wir ein ganzes Stück zurück und finden einen Schuppen mit einem Flachdach. Auf diesem Dach bauen wir unser Zelt auf und wollen unser Essen kochen. Leider ist unser Wasserkanister leer - Gewichtsersparnis :-), da wir eigentlich nicht damit gerechnet hatten hier oben zu bleiben. Doch Ulli erinnert sich daran, weiter oben eine Quelle oder einen Bach gesehen zu haben. In Trainingshosen und Badeschlappen fahren wir, zu zweit auf einer Maschine, ca. zwei Kilometer wieder den Berg hinauf und finden auch gleich die "Wasserstelle". In einer kleinen Kaskade stürzt das Wasser in einen vor uns liegenden Graben. Beim Versuch den Kanister zu füllen, werden wir pitschnass. Also holen wir die Seife raus und duschen bei der Gelegenheit in dem eiskalten Wasser. Um uns herum noch vereinzelte Schneeflecken auf den Wiesen. Aber was nicht umbringt macht nur härter und wir fühlen uns doch recht wohl, als wir wieder trockene Klamotten anhaben. Zum Abendmahl genießen wir noch eine Flasche Rotwein, das heißt ich genieße und Ulli trinkt Bachwasser mit Brausetabletten, da sie keinen Alkohol trinkt.

Am nächsten Morgen fahren wir nach Susa zurück und halten uns dann in südlicher Richtung, denn wir wollen zur Riviera runter. Nun sind wir nicht mehr weit vom Mittelmeer entfernt. Die Straßen führen uns bergauf und bergab, mal auf französisches und mal auf italienisches Hoheitsgebiet und schließlich hinauf zum Col de Tende. Wir wollen lieber bergauf auf dem Schotter fahren, deshalb nehmen wir zuerst den offiziellen Weg durch den Tunnel, wechseln direkt nach dem Tunnel wieder auf italienischen Boden und fahren zwei Kehren weiter rechts ab in einen kleinen Weg hinein. Nach ca. 200 Metern wechselt der Bodenbelag von Asphalt zu Schotter und lässt unseren Adrenalinspiegel steigen. Die Kehren sind eng, steil und ausgewaschen. Mit dem Lenker am Anschlag und mit nur leicht erhöhter Leerlaufdrehzahl zirkeln wir die bepackten Maschinen um die Kehren, reißen dann den Hahn auf, um schon bald vor der nächsten Kehre mit blockierenden Reifen fast zum stehen zu kommen. Dann wieder Lenker an den Anschlag vorsichtig die enge Kurve nehmen und Gaaas. Es macht riesigen Spaß, ist aber teuflisch anstrengend und da die Kehren nicht enden wollen, legen wir zwischendurch eine Pause ein.

1982 war ich das erste mal hier oben. Damals hatte ich eine Yamaha XS 400 SE, einen Softchopper also und war mit Gepäck überladen. Wir kamen von der anderen Seite über die Asphaltstrecke und fuhren auf der Schotterstrecke bergab, allerdings mitten in der Nacht. Einmal bin ich damals mit dem Sturzbügel an einem Stein hängen geblieben und gestürzt. Ich war der letzte in der Reihe und die anderen bemerkten mein Fehlen erst, als ich wie wild zu hupen begann. Alleine hätte ich die Maschine nicht mehr aufstellen können. Später war ich dann noch zweimal hier, wieder mit einem Softchopper, allerdings mit 750 Kubik. Man sieht also, die Strecke ist halb so schlimm, macht mit einer Enduro aber viel mehr Spaß. Trotzdem ist Ulli überglücklich den Pass ohne Sturz geschafft zu haben, für sie ist es nicht leicht mit einer "hohen" Enduro, da sie kaum mit den Fußspitzen bis zum Boden kommt. Wer mit den Füßen nicht auf den Boden kommt, der muss sie eben auf den Rasten lassen, das ist eigentlich die richtige Fahrweise, erkläre ich ihr. Doch davon will sie jetzt nichts wissen und packt erst einmal die Verpflegung aus. Ich stelle die Maschinen mit der Front gegen den Wind, der hier oben recht kräftig bläst, damit sie nicht umgedrückt werden. Ulli und ich verziehen uns in das Fort, damit wir windgeschützt picknicken können.

Als später Wolken aufziehen, fahren wir doch lieber über die Asphaltstrecke ins Tal und von dort aus weiter zur Küste, wo wir uns auf einen Campingplatz bei Menton breit machen. Zwei Tage später stehen wir schon früh auf, wir wollen zur Ligurischen Grenzkammstraße. Zunächst fahren wir an der Küste entlang nach Italien, nach einigen Kilometern biegen wir dann nach Norden ab und folgen dem Lauf eines kleinen Flüsschens. Bevor es wieder richtig kurvig wird, halten wir bei einem Cafe an und trinken noch einen Cappuccino. Plötzlich kommt das Geräusch eines Einzylinders näher. Der Fahrer biegt um die Ecke, sieht zuerst unsere Motorräder, dann uns und legt eine Vollbremsung hin. Armin, so heißt der XT-Treiber will auch zur Ligurischen, hat aber keine Lust auf Kaffee und fährt schon mal vor.

Die Schotterpassage am Einstieg ist recht grob und wir werden ziemlich durchgeschüttelt. Als wir an einem schönen Aussichtspunkt anhalten und eine Pause machen, kommt Armin von hinten angeknattert. Er hat noch einen Abstecher zu einem Fort gemacht, der für unsere Reiseenduros etwas zu heftig gewesen wäre. Von jetzt ab fahren wir zu dritt weiter, erst Armin dann ich und dann Ulli. Die Strecke ist manchmal ziemlich schlimm und wir wundern uns, wie gut Ulli mit der schweren Fuhre mitkommt. Einige Kehren sind fast völlig von Schneewehen bedeckt, uns bleibt nur eine ca. 30 cm schmale Fahrspur zwischen Schneehaufen und gähnendem Abgrund. Mir drückt es richtig das Herz zusammen, wenn ich im Rückspiegel sehe, wie Ulli dicht an der Schlucht über Stock und Stein fährt. Die Fahrt ist kraft- und nervenzehrend und ich weiß nicht genau, ob es noch Spaß macht oder ob ich lieber auf einer weniger spektakulären Strecke wäre. Auf einmal sehe ich Armin wie von der Tarantel gestochen sein Mopped abstellen und wild fuchtelnd auf mich zurennen. Ein Blick in den Spiegel zeigt mir - nichts. Wo ist Ulli? Ich steige auch ab und renne mit Armin zurück. Ullis Transalp hängt kopfüber am Steilhang und droht noch weiter abzurutschen. Ungefähr fünf Meter tiefer klammert sich Ulli an einem Busch fest, mit den Beinen schon über den Abgrund hängend. Armin hält die Maschine fest, damit sie nicht auf Ulli rutscht und ich helfe meiner Frau wieder auf den Weg hinauf. Sie ist natürlich völlig fertig und legt sich erst einmal ins Gras. Inzwischen versuchen wir Männer die Maschine zu bergen. Doch wir schaffen es einfach nicht in dieser Lage die Transalp hochzuziehen. Doch halt, war da nicht ein Autowrack am Wegesrand, gerade hinter der nächsten Kurve? Wir laufen zu der Stelle und wirklich, es steht da. Ich kann mir bis heute nicht erklären wie es bis da hinauf gekommen ist, doch egal, wir schneiden die Sicherheitsgurte raus und wollen sie zur Bergung einsetzen. Nach einer weiteren erfolglosen halben Stunde sind wir ausgepumpt. Die dünne Luft und die Anstrengungen der Fahrt haben ihre Spuren hinterlassen. Als wir erschöpft im Gras liegen, kommt plötzlich ein Mountainbiker vorbei. Mit seiner Hilfe schaffen wir es, die Alpia wieder auf den Schotter zu stellen. Am Motorrad sind kaum Schäden festzustellen. Das linke Spiegelglas ist gebrochen, die Verkleidungsscheibe ist aus ihrer Halterung gezogen, Verkleidung, Sturzbügel und Gepäckträger sind etwas verkratzt und eine kleine Beule ziert den Tank. Aber das sind Narben der Ehre, versuche ich Ulli zu beruhigen, wer seine Mühle hier oben wegschmeißt der hat schließlich ganz schön was geleistet. Zuhause vor dem Cafe kann ja jeder seine Kiste hinschmeißen. Da sie verständlicherweise nervlich noch immer nicht auf der Höhe ist, fahre ich erst mal meine Transalp mit ihr hintendrauf zur nahen Passhöhe, Passo del Tanarel

Armin will mich dann zu Ullis Maschine zurückfahren, doch ich lehne ab. Die Strecke ist hier so bescheiden zu fahren, dass ich zweimal so heftig mit dem Hauptständer aufgesetzt bin, dass es mich fast über den Lenker katapultiert hätte. Das kleine Stückchen laufe ich doch fast schneller, prahle ich. Doch der kurze Weg um zwei Kurven ist zu Fuß wesentlich länger als es mir während der Fahrt vorkam. Eine weitere Erkenntnis ist, das ein Motorradstiefel so heißt, weil es sich in ihm wahrscheinlich nicht so gut laufen lässt. Schon nach kurzer Zeit bekomme ich Blasen an den Füßen, was die Lauferei auf dieser Strecke nicht gerade vereinfacht. Schließlich schaffe ich es doch Ullis Maschine zu erreichen und fahre sie zur Passhöhe hinauf. Armin und Ulli haben sich inzwischen was zu essen gemacht, wahrscheinlich mehr zur Beruhigung als aus Hunger, denn sie kriegen kaum einen Bissen herunter. Da ich immer und überall essen kann , helfe ich den beiden ein wenig. Unsere Tour können wir hier erst einmal abbrechen, zum einen erzählte uns der Mountainbiker, dass die weitere Strecke voll mit Schneewehen ist und das er sein Bike oft längere Stücke tragen musste. Zum anderen steigt dichter Nebel auf, so dass wir dankbar sind hier einen Weg ins Tal herunter zu haben. Der Nebel ist so dicht, dass wir unsere Blinker einschalten um die Position des anderen wahrnehmen zu können. An besonders kniffligen Stellen hupen wir zusätzlich noch. Endlich im Tal und wieder auf Asphalt angekommen, fahren wir noch ein Stück gemeinsam bis zur Küste. Dann verabschieden wir uns von Armin aber nicht ohne uns für ein Treffen in der Heimat zu verabreden.

 Als wir auf der Autobahn Richtung Menton fahren fängt es zu allem Überfluss noch an zu regnen, so sind wir doppelt froh, als wir endlich den Campingplatz erreichen. Die nächsten beiden Tage lassen wir die Maschinen stehen und Bummeln durch die Stadt oder liegen ausnahmsweise am Strand. Dann fahren wir endlich wieder. Ulli hat ihren Schreck überwunden, nur von Schotterpässen hat sie erst einmal die Nase voll. Aber hier an der Cote Azur gibt es auch viele schöne Sträßchen, die es zu erobern gilt. So machen wir die hohe und die mittlere Corniche unsicher, fahren ein Stück in die Provence hoch und genießen die Fahrt an der Küste entlang. In dieser Zeit haben wir uns überlegt, für Ulli noch eine DR 350 anzuschaffen, mit der Transalp will sie nicht noch einmal ins Gelände gehen. Sie ist einfach zu schwer für eine kleine zierliche Frau. Und noch etwas haben wir gelernt. Wenn man solche Touren fährt, sollte man immer ein Seil und einen Erdanker dabei haben, um für eine eventuelle Bergung gerüstet zu sein. Weiterhin sollte man auch ein paar Schuhe dabei haben, mit denen man notfalls ein paar Kilometer laufen kann. Und schließlich sollte niemand alleine solche Touren unternehmen, nur allzu schnell kommt man in eine brenzlige Situation, aus der man ohne Hilfe nicht mehr herauskommt. In diesem Sinne wünsche ich Euch allen eine gute Fahrt und glückliche Heimkehr.

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