Arabischer Schriftzug 'Libyen'

Libyen 1998: Bericht

"Das fängt ja schon gut an!" tönt es aus Werner's Helm. Er versucht gerade seine KTM abzustellen, jedoch verbiegt sich der Halter des Seitenständers, und die Maschine droht immer wieder umzufallen. Schließlich lehnt er seine Kati an die Mauer des Cafés im Hafen von Genua, in dem wir auf die Einschiffung nach Tunis warten. Bei leckeren Cappuccini sitzen wir in der Sonne und genießen die Wärme. Die Uhr auf dem gegenüberliegenden Gebäude zeigt in großen Ziffern 08:50 Uhr an. Viel zu früh, denn die Fähre legt erst am späten Nachmittag ab, und bis dahin müssen wir irgendwie die zäh dahinfließenden Stunden totschlagen. Zeit genug für eine ausgiebige Unterhaltung, denn Werner und ich haben uns bisher nur einmal getroffen, ansonsten kennen wir uns nur aus dem Internet. Nach einigen Stunden denken wir, dass wir die einzigen Motorradfahrer auf der Fähre sein werden, denn bisher sind nur einige Geländewagen eingetrudelt. Nach einiger Zeit jedoch kommt ein Bike nach dem anderen angefahren, Belgier, Italiener, Holländer und Deutsche. Wie wir dann auf dem Schiff erfahren, gehören fast alle zu einer geführten Reisegruppe, und alle fahren "nur" nach Tunesien. Werner und ich sind die einzigen Libyenreisende auf zwei Rädern. Die Zeit vor dem üppigen Vier-Gänge-Menü und danach bis zum Schlafengehen, verbringen wir mit dem Ausfüllen von Fiches und dem Anstehen an verschiedenen Schaltern, um die Einreiseformalitäten für Tunesien zu erledigen. Nach dem Frühstück ergänzen wir unsere Roadbooks und geben die letzten Daten in unsere GPS-Geräte ein. Außerdem tauschen wir mit anderen Bikern Erfahrungen aus und erzählen uns die Highlights vergangener Reisen, so dass die Zeit bis zur Ausschiffung am Abend rasch vergeht. Durch den Andrang an der Grenze, schließlich wird eine Schiffsladung voll Reisender an Land geworfen, brauchen wir fast zwei Stunden, bis wir durch die mittlerweile hereingebrochene Dunkelheit zur nächsten Fähre weiterfahren können. Diese bringt uns innerhalb von zehn Minuten kostenlos über die Bucht von Tunis auf die gegenüberliegende Landzunge, so sparen wir uns den zeitraubenden Weg durch Tunis. Nun sind es nur noch wenige Kilometer bis zur Jugendherberge in Rades, kurz vor Hammam Lif. Während der Fahrt fällt mir auf, dass mein Hinterreifen, ein Barum C11 Stoneking, auf der Straße fast nicht fahrbar ist. Werner kann sich das auch nicht erklären, "Gut, wenn er neu ist schmiert er etwas in Kurven, aber sonst rollt er doch nicht schlecht". Er hat den gleichen Reifen drauf, aber seine Maschine läuft tadellos. Ohne weitere Probleme kommen wir zur Jugendherberge, die mit einem Bus voller Kinder fast ausgebucht ist. Nach einigem Handeln bekommen wir doch noch zwei freie Betten zugewiesen. Wir räumen unsere Sachen weg, schnappen den Packsack mit unseren Vorräten und setzen uns draußen auf die menschenleere Terrasse, um unser Abendbrot zu verspeisen.

Leider ist die Nachtruhe schon um fünf Uhr zu Ende. Die Kinder rennen johlend durch die Gänge und schlagen mit den Türen. Etwas genervt entschließen wir uns auch zum Aufstehen. Als wir aus dem Zimmer gehen, verstummen die Schreie und unzählige Kinderaugen starren uns an, als ob wir von einem anderen Stern kämen. Nun ist es zu spät um leise zu sein, jetzt sind wir schon aus den Betten raus. Als wir das Gepäck zu den Maschinen bringen, trifft mich fast der Schlag. Noch keinen Meter Schotter gefahren, aber mein Hinterreifen ist schon platt. Unter den Augen einiger Lehrer und vieler Kinder, die uns in einem Gemisch aus französisch und englisch viele Fragen über Motorräder stellen, ist das Rad schnell ausgebaut und der Schlauch zur Begutachtung ans Licht gebracht. Der Schlauch ist in Ordnung, zumindest was die Dichtheit betrifft. Die undichte Stelle ist das Ventil. Aber mein Reifenhändler hat in den 130er Reifen einen 100er Schlauch eingebaut. In Verbindung mit dem schleichenden Druckverlust wundert mich das Fahrverhalten meiner Maschine nun nicht mehr. Wir bauen den Ersatzschlauch ein, montieren alles wieder zusammen und beladen unsere Maschinen. Ein Packsack mit sauberer Kleidung bleibt für die Rückfahrt mit der Fähre im Lager der Jugendherberge, dann geht es endlich los. Auf der Fahrt gen Süden ist vom schlechten Fahrverhalten der Maschine nichts mehr zu spüren, der Schlauchwechsel hat sich gelohnt.

Die Landschaft um uns herum ist nicht besonders reizvoll, was unserer Absicht, möglichst rasch an die libysche Grenze zu kommen, entgegenkommt. Ab und zu kehren wir auf eine Cola oder einen Kaffee ein. Gegen Abend sind wir in Metameur und wollen uns dort im Gorfa Hotel einquartieren. Gorfas sind alte Speicherhäuser, die heute kaum noch in ihrer ursprünglichen Bestimmung genutzt werden. Manche wurden zu netten Unterkünften umgebaut, so auch die in Metameur. Leider sind die Gorfas wegen Renovierung geschlossen, aber wir dürfen auf dem Gelände unser Zelt aufbauen und die Duschen benutzen. Da das Wetter sehr nach Regen ausschaut, wollen wir uns das Zelten gerne ersparen und schauen uns etwas um. Einige der Gorfas sind offen, und innen sieht es sehr sauber aus, sogar Betten sind darin. Ohne viel Worte beschließen wir, doch hier einzuziehen. Wir tragen unsere Siebensachen rein und stellen die Maschinen vor den Eingang. Dann gehen wir zum Duschen. In der Zwischenzeit ist noch ein Geländewagen mit zwei netten Bayern angekommen, die den Besitzer des Hotels gut kennen. Nachdem wir unsere 'Tat' gestanden haben, dürfen auch sie eine Gorfa beziehen. Später treffen wir uns beim Abendessen im zugehörigen Lokal, das zum Glück nicht gerade renoviert wird. Es wird ein lustiger Abend mit allerlei Erzählungen, verbranntem Hammelfleisch und einigen Fläschchen Wein. In der Nacht regnet es wie aus Kübeln, und wir sind froh, doch in einer festen Behausung zu liegen. Am Morgen sind nur noch wenige Wolken zu sehen, ansonsten ist alles einigermaßen trocken.

Bis zur Grenze sind es nun keine 100 km mehr. Am Wegesrand stehen nun öfter Geldwechsler und winken mit dicken Geldbündeln. Bei ihnen kann man libysche Dinar zu einem wesentlich günstigerem Kurs als an der libyschen Grenze tauschen, natürlich schwarz. Werner handelt wie ein Araber, doch mehr als 1,40 LD bekommen wir nicht für die Mark. Wir tauschen insgesamt 700.- DM um und verstecken die Dinare im Gepäck, da deren Einfuhr nach Libyen verboten ist. An der Grenze werden wir von der zügigen tunesischen Abfertigung überrascht. Die Ausreise dauert keine fünf Minuten. "Komisch", meint Werner, "sonst haben wir hier immer mehrere Stunden gebraucht". Auf der libyschen Seite brauchen wir etwas mehr Zeit. Nachdem unsere Pässe gestempelt sind, müssen wir pro Fahrzeug 330.- DM für das libysche Nummernschild und die Versicherung offiziell umtauschen und dann noch einmal 50.- DM in deutscher Währung für das Carnet de Passages bezahlen. Doch nach einer guten Stunde sind auch diese Hürden geschafft, und wir sind im Land unserer Urlaubsträume.

Zunächst fahren wir an der Küste entlang in Richtung Zuwarah. Unterwegs biegen wir ein Stück weit von der Straße ab, um unsere Finanzen zu ordnen und eine Kleinigkeit zu essen. In Zuwarah angekommen, fahren wir an die Tankstelle. Wir füllen insgesamt 53 Liter in unsere Tanks und bezahlen umgerechnet nur ca. 4,70 DM, das sind ungefähr neun Pfennig für den Liter Super verbleit mit 98 Oktan! Dann füllen wir unsere Wasser- und Essensvorräte auf und fahren in südlicher Richtung durch die Sebka Mellahet ez Zarhouania weiter. Bald erreichen wir eine Kreuzung, deren westlicher Abzweig nach Nalut führt. Wir fahren jedoch geradeaus weiter und nehmen die Piste über den Jebel Nafusah nach Baldat al Kurumah. Kaum sind wir ein paar Kilometer im Schotter, habe ich mich schon das erste Mal eingegraben, und das gleich soweit, dass die Schwinge gleich mit im Loch sitzt und das Vorderrad in den Himmel ragt. Nach einigem Graben und Zerren ist mein Dickschiff wieder befreit und es geht munter weiter. Zuerst durchqueren wir eine Ebene, die immer mehr von heranrückenden Hügeln und kleinen Bergen verengt wird. Schließlich bewegen wir uns durch enge gewundene Täler und müssen über eine Anzahl Serpentinen eine Anhöhe erklimmen. Obenauf stehen drei Dörfer dicht beieinander, das mittlere Dorf ist Baldat al Kurumah, das wir auf einer Asphaltstraße in südsüdwestlicher Richtung verlassen. Wir halten uns nun grob Richtung Al Arqub und finden bald den Pisteneinstieg nach Bir Alaq. Hier fahren wir auf leicht verspurten Wegen durch die dünn bewachsene Flächen. Nach einigen Kilometern sehen wir uns nach einem Übernachtungsplatz um. Hinter einer Tamariske bauen wir, etwas windgeschützt, unser Zelt auf und bereiten unser Abendessen zu. Währendessen färbt die untergehende Sonne den Himmel tiefrot ein, und in der aufkommenden Dunkelheit klettert die schmale Mondsichel langsam nach oben. Das sind die Momente, auf die wir gewartet haben: In der einsamen Wüste vor dem Zelt sitzen und die Schauspiele der Natur hautnah erleben.

Einige Zeit schon fahren wir auf schönen steinigen Pisten immer weiter nach Süden. Am späten Vormittag erreichen wir den Brunnen Bir Alaq, der von einigen Häusern umgeben ist. Einige Leute sind gerade dabei, eines der Gebäude zu streichen. Als sie uns sehen, winken sie uns zu und laden uns zum Tee ein. Beim Trinken stelle ich fest, dass der Tee eigentlich ein sehr starker Kaffee ist, den ich ohne Milch und Zucker nur schwer hinunter bekomme. Nach einer halben Stunde Geplauder mit Händen und Füßen, setzen wir unseren Weg fort. An einer Steinpyramide, die auf den nahegelegenen italienischen Flugplatz En Nasra aus dem zweiten Weltkrieg hinweist, machen wir wieder Rast. Ab hier verläuft die Piste nun nicht mehr ganz so angenehm weiter, und wir sind froh, am Mittag auf die Straße nach Darj zu stoßen. Bis Darj sind es jetzt noch ca. 120 Kilometer Asphaltstraße, auf der uns nur zwei Autos entgegenkommen. An einer Stelle wurde die Straße von den Wassermassen nach einem starken Regen völlig weggerissen. Einige fußballgroße Steine und ein alter Reifen machen auf die Stelle aufmerksam und führen uns auf die Umleitung durch das Wadi. Endlich an der Tankstelle in Darj angekommen, füllen wir unsere Tanks wieder auf und setzen uns danach ins Café gegenüber, um uns an kalten Getränken zu erfrischen. Von hier aus sind es nochmals ca. 100 Kilometer bis zu unserem Tagesziel, der Stadt Ghadames. In der Mitte des letzten Jahrhunderts, als Gerhard Rohlfs die Sahara durchquerte, war der Weg von Darj nach Ghadames wegen lauernder Räuberbanden gefürchtet. Heute ist man froh, wenn man unterwegs überhaupt jemanden trifft.

Einst soll sich ein Nomade in der Wüste verirrt haben und sich aus Wassermangel zum Sterben niedergelegt haben. Da schlug seine treue Stute mit dem Huf auf den Wüstenboden, und im selben Augenblick trat kühles Wasser aus der Erde. Die Wüste begann sich mit Grün zu bedecken und Palmen wuchsen aus dem Boden. Die Quelle aber erhielt den Namen Ain el Fras - 'Stutenquelle'. An dieser Stelle wurde der Ort Ghadames gegründet, der lange Zeit eine Drehscheibe des Karawanenhandels war. Heute steht die Altstadt als 'World Heritage Site' unter dem Schutz der UNESCO. In Ghadames bekommen wir im Hotel Al Waha das letzte Zimmer, mehr schon eine Ferienwohnung. Die Klimaanlage im Schlafzimmer funktioniert zwar nicht mehr, aber dafür ist eine riesige Kakerlake im Badezimmer putzmunter, noch ... Nach der verdienten Dusche machen wir eine Fototour durch die Altstadt. Überall führen helle und dunkle Gänge durch die Häuserzeilen. In den schattigen Höfen ist es angenehm kühl. Zwischen den Häusern findet man blühende Gärten und ein schmaler Bach fließt munter durch einen der Hauptwege. Leider ist alles menschenleer, wenn hier noch Leute wohnen und die Mauern mit buntem Leben füllen würden, wäre es sicher noch viel schöner. Danach erkunden wir den neueren Teil von Ghadames und schreiben ein paar Ansichtskarten, hier ist die letzte Möglichkeit dazu. Am Abend suchen wir uns ein Restaurant, bestellen Salat und Pommes, denn das Fleisch ist hier nicht so ganz unser Geschmack und erfrischen uns mit ein paar Bieren. Wenn hier in Libyen von Bier die Rede ist, so ist damit immer alkoholfreies Bier gemeint, alkoholische Getränke gibt es in Libyen (normalerweise) nicht!

Am folgenden Tag fahren wir etwa 60 Kilometer in Richtung Darj zurück und biegen hinter einem Berg in nördlicher Richtung auf eine Piste ab. Nach einer Weile endet die Piste an einem kleinen See, dem See von Mzezem, der eigentlich aus zwei Seen besteht, die dicht nebeneinander liegen. Der kleinere der beiden ist ziemlich tief und scheint die Quelle für den größeren zu sein. Uns wundert es sehr, mitten in der Trockenheit auf soviel Wasser zu stoßen. Am anderen Ufer stehen drei Geländewagen mit einer entsprechender Anzahl libyscher Familien, die wohl einen Ausflug hierher machen. Die Männer gehen in abgeschnittenen Jeans und T-Shirts schwimmen, die Frauen singen und tanzen im Schatten der zwischen den Autos aufgespannten Zeltplanen. Werner und ich bleiben auf "unserer" Seite des Sees und suchen im kargen Gestrüpp etwas Schatten. Auf einmal kommen drei Frauen und ein kleines Mädchen zu uns herüber. Kurz bevor sie vor uns stehen, fragen wir uns, ob wir sie wohl ansprechen dürfen, doch das Problem erledigt sich von selbst. Die Frauen begrüßen uns mit "Hello, welcome to Libya!" Wir grüßen zurück und die Damen fragen uns weiter, ob wir bei einer Rallye teilnehmen würden und ob sie unsere Motorräder fotografieren dürften. Die erste Frage beantworten wir wahrheitsgemäß mit nein, die zweite natürlich mit ja, worauf zwei von ihnen sich sofort auf unsere Maschinen stürzen, unsere Helme und Handschuhe anziehen und sich auf die Bikes schwingen. Ich kann gerade noch Werners KTM, die durch den defekten Seitenständer nur sehr wackelig dasteht, vor einem Sturz bewahren. Die dritte Frau zückt den Fotoapparat und schießt los. Während ich mühsam versuche, zwei Motorräder gleichzeitig im Gleichgewicht zu halten, rufe ich Werner zu, dass auch er fotografieren soll, schließlich wäscht eine Hand die andere. Zunächst ist es den Mädels wohl nicht ganz recht, und sie fragen, ob die Fotos für Germany sind. Als wir das bejahen, lacht eine zurück: "Oh, photos for Helmut Kohl!" Ab diesem Zeitpunkt gibt es keine Hemmungen mehr, die Kopftücher verschwinden, Haare werden gekämmt und die KTM müssen wir ganz nah an den See schieben, damit der Hintergrund stimmt. Beide Parteien fotografieren wie wild. Solch eine Freizügigkeit beim Kontakt mit Frauen hätten wir uns nie zu träumen gewagt, besonders weil es in Libyen meist etwas genauer mit der Religion genommen wird als in touristisch mehr erschlossenen Ländern wie Tunesien und Marokko. Nach einiger Zeit ziehen sich die Damen wieder korrekt an, bedanken und verabschieden sich und gehen zu ihren Autos zurück. Eine halbe Stunde später kommt ein klappriger Wagen mit drei jungen Libyern angefahren. Sie grüßen kurz durch Kopfnicken und stellen ihren Wagen hinter einem Gebüsch ab. Wenige Minuten später kommt einer von ihnen zu uns und lädt uns zum Essen ein. Es gibt Thunfisch aus der Dose, der in einer Schüssel mit Olivenöl und Oliven vermengt wird. Das Ganze wird dann mit Brot aus der Schüssel gefischt. Da Werner nichts isst, was aus dem Wasser kommt oder Federn hat, muß er mit trockenem Brot vorlieb nehmen. Ich für meinen Teil hoffe, dass die Speise meine Verdauung nicht negativ beeinflussen wird. Wieder zurück im Hotel, kontrollieren wir den Zustand unserer Maschinen, denn morgen wollen wir weiterfahren. Ölstand und Kettenspannung werden kontrolliert, einige Speichen nachgezogen und mein Luftfilter ausgeklopft. Neugierig kriecht dabei eine Schildkröte zwischen den Oleandersträuchern heran und schaut uns bei der Arbeit zu.

Nach dem letzten üppigen Frühstück für die nächsten Tage, starten wir zu unserer längsten zusammenhängenden Offroad-Etappe. Ca. 660 Kilometer ohne Kraftstoffversorgung liegen vor uns. In Ghadames tanken wir alles bis zum Stehkragen voll. Wir kommen in Darj zwar noch an einer Tankstelle vorbei, doch dort gibt es kein Superbenzin für Werners Kati. In die Haupttanks, Hecktanks und je zwei fünf-Liter-Plastikkanister bringen wir pro Maschine ca. 53 Liter Benzin unter. Pro Nase haben wir dann noch ca. 13 Liter Wasser dabei. Das klingt nach recht wenig, aber unterwegs fahren wir einige Brunnen an, wo wir unsere Vorräte ergänzen können, inshallah! Zunächst geht es aber auf Asphalt die ca. 100 Kilometer bis nach Darj zurück. Dort füllen wir das bis dahin verbrauchte Benzin wieder auf. Kurz hinter Darj beginnt die Piste. Wir folgen dem Haupttal nach Süden, die Piste ist in unregelmäßigen Abständen durch Fässer markiert. Nach einem kurzen Schwenk in südöstlicher Richtung, befinden wir uns auf einer gut ausgefahrenen Spur. Nach ca. siebzig Kilometern erreichen wir eine Schotterebene, biegen hier wieder Richtung Süden ab und erreichen bald darauf das Wadi Tanaru, das uns wieder nach Südosten führt. Der Himmel am Horizont ist nun graubraun gefärbt, der Wind wird stärker und die Sicht zunehmend schlechter. Ein leichter Sandsturm kommt auf, und wir überlegen, ob wir nicht besser zurückfahren sollten. Wir erinnern uns an die Zeilen von Gerhard Rohlfs, der vor hundert Jahren schrieb, dass in diesen Breiten zu den Nachmittagsstunden ein Sandwind, der Ghibli, nicht selten sei, und dieser meist nicht länger als drei Tage andauere. Wir entscheiden uns für die Weiterfahrt und hoffen, dass der Spuk bald vorüber sein wird. Die Piste ist nun wieder sehr steinig mit wenigen Sandfeldern und läßt sich einigermaßen gut fahren. Später wechselt der Untergrund. Auf einer weichen hellen Sandschicht liegen kleine schwarze Steine, die einen festen Boden vorgaukeln. Auf den unbefahrenen Stellen kommt man mit viel Gas eigentlich ganz gut durch. Gerät man jedoch in die zahlreichen Spurrillen der Piste, muß man den Lenker schon gut festhalten, um die Maschine einigermaßen in der richtigen Richtung zu halten. In einem tief verspurten Sandfeld rutscht plötzlich mein Vorderrad nach links weg, und die Maschine wirft mich ab. Werner habe ich wegen dem Staub ein Stück voraus fahren lassen, so muß ich die schwere Kiste alleine aufstellen, was mir aber vor lauter Ärger über das Malheur fast mühelos gelingt. Mit der Zeit wird der Wind stärker und trägt immer mehr Sand mit sich. Die Sicht ist schlecht und die Sandkörner stechen regelrecht auf der ungeschützten Haut unter unseren Crosshelmen, gelegentlich spüren wir sogar einige Regentropfen - oder bilden wir uns das nur ein? Als die Wetterverhältnisse das Fahren unmöglich machen, stellen wir die Maschinen quer hinter einen Busch und suchen auf deren windabgewandten Seite Schutz vor dem nun doch zu einem Sandsturm ausgewachsenen Wind. Wir müssen uns sogar die Halstücher um den Kopf binden, damit der Sand aus der Atemluft gefiltert wird. Geschlagene fünf Stunden liegen wir so da, dann ebbt der Wind endlich ab, und wir entschließen uns dazu, noch ein Stück weiter zu fahren. Durch den noch in der Luft schwebenden Sand ist die Landschaft um uns herum nur schemenhaft zu erkennen, wir kommen uns vor, als ob wir durch einen schlecht beleuchteten Tunnel fahren. Bei einbrechender Dunkelheit bauen wir auf einer großen steinigen Ebene, mitten im Nichts, unser Zelt auf.

Der neue Morgen sieht leider auch nicht besser aus als der Abend. Der Horizont ist immer noch graubraun, aber im Moment lässt uns der Wind noch einigermaßen in Ruhe. Stellenweise fahren wir sogar durch frisches Grün, anscheinend hat es in letzter Zeit geregnet. Dann folgen wieder Abschnitte ohne jeglichen Bewuchs, nur Sand und Steine bis zum Horizont. Gegen Mittag erreichen wir den ersten Brunnen. In der Nähe stehen einige Kamele und beobachten uns aufmerksam. Ein Hirte sitzt auf dem Brunnenrand und begrüßt uns freundlich. An einem Strick ziehen wir einen löchrigen Eimer aus der Tiefe und begutachten die feuchte Fracht. Das Wasser sieht sehr sauber aus und ist erfrischend kühl. Wir filtern es trotzdem, füllen unsere Wassersäcke auf und trinken solange, bis nichts mehr in den Bauch paßt. Werner legt seine in der Hitze geschmolzene Schokolade in das kühle Brunnenwasser, damit sie wieder in den festen Aggregatzustand übergeht. Ganz schafft er es nicht, aber er teilt die zähe Masse brüderlich mit dem Hirten, der sicher nicht oft in den Genuss einer Ritter Sport kommt. Gern würden wir noch länger an diesem beschaulichen Ort bleiben, aber wir müssen weiter, solange das Wetter noch einigermaßen mitspielt. Am frühen Nachmittag frischt der Wind auf und schleudert uns wieder seine feinkörnige Last entgegen. Manchmal sehen wir kaum den Boden vor dem Vorderrad, dann ist wieder für kurze Zeit freie Sicht. Als ein Weiterkommen nicht mehr zu verantworten ist, suchen wir zwischen einigen Hügeln Schutz vor dem Staub, der uns fast den Atem nimmt. Die Maschinen bleiben im Tal stehen, während Werner und ich mit eingewickelten Köpfen einen Hügel erklimmen. Hier oben ist es zwar auch sehr windig, jedoch ist nicht mehr ganz so viel Sand in der Luft. Wieder dauert es fünf Stunden, bis sich der Wind soweit gelegt hat, dass wir weiterfahren können. Die weitere Fahrt führt uns über tiefsandigen Untergrund. Ich versuche mein Gewicht möglichst weit nach hinten zu verlagern, damit das Vorderrad entlastet ist und nicht soweit einsinkt. Doch die Bodenfreiheit der Maschine ist einfach zu gering. Manchmal schleift der Motorschutz wie ein Schneeschieber durch den Sand, und nur mit viel Gas entkomme ich dem weichen Boden. Auf einmal will mich meine Alp nicht mehr tragen, das Vorderrad sackt weg, ich segele über den Lenker und das Nächste, was ich spüre, ist, wie ich mit dem Kopf zuerst aufschlage und mir der Dreck gleich schaufelweise in den Helm fliegt. Ich weiß nicht, wie mir geschehen ist und brauche einige Sekunden um zu begreifen, wo ich überhaupt bin. Da Werner nicht gleich in den Spiegel schaut und meinen Sturz bemerkt, muß ich wieder alleine die Maschine aufrichten. Zum Glück ist nicht viel passiert, Sturzbügel etwas angedrückt, Verkleidung verkratzt und die Gabel in den Gabelbrücken etwas verdreht. Schnell ist letztere wieder neu ausgerichtet, und schon geht es weiter. Nach einigen schwierigen Passagen mit weichsandigen Steilabfahrten, kommen wir in eine Ebene mit Tafelbergen. Hinter einem großen Felsen bauen wir windgeschützt unser Zelt auf. Nach einem kargen Mahl aus Zwiebeln, Tomaten, Salami und Brot legen wir uns erschöpft in unsere Schlafsäcke.

Kurz nach Sonnenaufgang sind wir schon wieder auf den Beinen. Wir essen unser obligatorisches Müsli und packen unsere Sachen auf die Maschinen. Der Horizont ist zwar noch bräunlich gefärbt, jedoch ist es fast windstill. Nun macht das Motorradfahren wieder mehr Spaß, kaum ein Sandkorn fliegt durch die Luft, zumindest nicht vor uns, und wir können endlich wieder etwas von der Landschaft sehen. Links und rechts haben sich die verschiedenartigsten Felsformationen aufgebaut, mal sind sie spitz und kegelig, mal flach und langgestreckt. Hin und wieder versucht ein Weichsandfeld mir meine gute Stimmung zu vermiesen, doch heute klappt es mit dem Durchfahren viel besser als die Tage zuvor. Bald erreichen wir die Abbruchkante der Hammada al Hamrah. Trotz GPS und Pistenbeschreibung finden wir nicht gleich den richtigen Abstieg. Wir quälen uns durch ein Dünenfeld und versuchen dann über austrocknete Schwemmtonflächen einen Berg zu umfahren. Nach einiger Zeit finden wir endlich einen Abstieg. Es ist zwar nicht der gesuchte Weg in den tiefer liegenden Idhan Awbari, jedoch ein gut fahrbarer, und mit Hilfe der Satellitennavigation sind wir auch schon bald wieder auf der richtigen Piste. Da wir noch genügend Wasser haben, lassen wir den nächsten Brunnen, der südwestlich in den Dünen liegt, aus. Die Landschaft verwandelt sich zunehmend in ein Dünengebiet, doch noch fahren wir auf einigermaßen festem Boden. Als immer mehr Sträucher und Palmen unseren Weg säumen, wissen wir, dass wir in der Nähe des Brunnens El Hassi sind. Komischerweise liegt der Brunnen selbst auf einer weiten Fläche ohne Bewuchs. Vom 23. auf den 24. April 1850 lagerte hier Heinrich Barth auf seiner "Großen Reise" durch die Sahara. Wir wollen hier zwar nicht übernachten, jedoch wenigstens die heiße Tageszeit verbringen. Kaum sind wir dabei Wasser aus dem Brunnen zu schöpfen, kommen schon einige Kamele angelaufen, verharren dann aber doch erst einmal in respektvollem Abstand. Von den fast einen Kilometer entfernten Büschen kommt plötzlich ein Hirte angelaufen. Er beobachtet neugierig, wie wir das Wasser filtern, in Flaschen abfüllen und es mit Vitamintabletten versetzen. Wir bieten ihm etwas davon zu trinken an, doch die grell-orange Färbung macht ihn misstrauisch. Erst als Werner und ich getrunken haben, probiert er es auch, und - es scheint ihm zu schmecken. Damit ist seine Neugier wohl befriedigt, er winkt uns kurz zum Gruß und trollt sich wieder zu seinem schattigen Platz zurück. In der Zwischenzeit sind auch die Kamele etwas näher gekommen und recken witternd ihre Nasen zum Brunnen. Sicher sind sie auch durstig. Eimer um Eimer fördern wir nach oben und leeren sie in den Trog beim Brunnen. Gierig schlürfen die Wüstenschiffe das Wasser auf und lassen sich dabei sogar streicheln. Als sie genug gesoffen haben, stapfen sie gemächlich davon. Da es am Brunnen nirgends ein schattiges Plätzchen zum Ausruhen gibt, wollen wir nun doch nicht bis zum Nachmittag hier bleiben. Nur ein paar hundert Meter von hier verläuft die Pipeline-Piste nach Awbari. Vom Brunnen aus fahren wir solange nach Südwesten, bis wir zu einem gelben Pfosten kommen, auf dem ein rotes Schild mit der Zahl 184 angebracht ist. Von hier aus sind es also noch 184 Kilometer bis Awbari.

Der Weg führt uns abwechselnd über geschobene Trassen, die allerdings nicht mehr im besten Zustand sind, und über jungfräulich anmutende Walfischrücken. Letzteres sind hohe Dünen, deren Kämme nicht scharf wie ein Grat geformt sind, sondern rund wie der Rücken eines Wales. Es macht riesigen Spaß die Höhen zu erklimmen und auf der anderen Seite ins Tal hinabzujagen. Dabei dürfen wir nie die Schilder aus den Augen verlieren, die in Ein- Kilometer-Abständen den Verlauf der Pipeline markieren. Leider hat der Spaß schon bald ein Ende, aus den schönen runden Hügeln mit fester Oberfläche werden weiche unförmige Sandhaufen, die unsere ganze Konzentration erfordern. Am Ende können wir nicht mal mehr in einer geraden Linie bis zum Kamm hinauf, sondern müssen uns in einem regelrechten Zick-Zack-Kurs hinaufarbeiten. Klar, dass wir da oftmals am Graben, Zerren und Schieben sind. An einer besonders widrigen Stelle drehen wir um und fahren ins Tal zurück. Wir sind einfach zu fertig, um weiterzufahren. Wir bauen unser Nachtlager auf, wobei wir hier auf das Zelt verzichten und uns nur mit Therm-A-Rest und Schlafsack im Sand breit machen. Es ist schon ein faszinierendes Gefühl, in einem Millionen-Sterne-Bett zu liegen. Obwohl wir beide sehr müde sind, bleiben wir noch lange wach, beeindruckt vom Sternenlicht am Firmament.

Noch in der Nacht ist die Entscheidung gefallen, wir drehen um! Gerade mal vierzig Kilometer haben wir auf der Pipeline-Piste geschafft, aber von Piste kann hier keine Rede mehr sein. Im vorigen Jahr gab es noch eine einigermaßen fahrbare Trasse, nun hat sich die Wüste ihr Eigentum wieder zurückerobert. Hundertvierzig Kilometer liegen noch vor uns und nur Allah weiß, was uns auf der Strecke noch erwartet. Wir glauben auch nicht, dass wir noch genügend Benzin haben, um uns die gesamte Strecke durch den Sand zu wühlen. So fahren wir etwa zwanzig Kilometer in unseren Spuren zurück, bis wir einen seitlichen Ausstieg aus den Dünen finden und dann nach Osten auf das Massiv des Jebel al Hasawinah zuhalten. Am Abbruch des Massivs angekommen, wühlen wir uns durch verspurte Weichsandfelder in südöstlicher Richtung auf die Stadt Idri zu. Nachdem wir in zwei Anläufen über einen steilen sandigen Berg das Plateau erreicht haben, führt uns unser Weg auf teils steinigen und teils sandigen Pisten durch eine mit dunklen Schuttkegeln überzogene Landschaft. Nach einiger Zeit kommen wir an eine breite ebene Piste, fast eine richtige Straße. Nun sind es noch dreißig flotte Kilometer bis Idri. Es ist nicht zu glauben, nach allem, was wir an schwierigen Stellen schon bezwungen haben, muss ich in einem winzigen Dünchen stecken bleiben, das vom Wind quer über unseren Weg getrieben wurde. Als Werner endlich mit Lachen fertig ist, hilft er mir aus der peinlichen Situation, und wir eilen weiter. In Idri melden wir uns pflichtgemäß zuerst an der Polizeistation. Danach rollen wir nebenan zur Tankstelle und lassen uns am zugehörigen Café mit Cola, alkfreiem Bier und Rührei-Harissa Sandwiches verwöhnen. Ich kann die kalten Getränke gar nicht so schnell trinken, wie ich sie gerne hineinschütten möchte, ich bekomme sogar Halsschmerzen vom hastigen Schlucken. Nach einer zweistündigen Pause werden unsere Maschinen versorgt. Wir wollen von hier aus auf der klassischen Dünenstrecke nach Awbari fahren. Die Entfernung beträgt keine hundertfünfzig Kilometer, deshalb füllen wir aus Gewichtsgründen nur unsere Haupttanks. Das reicht locker dreimal für diese Strecke, rechnen wir uns vor. Frisch gestärkt verlassen wir in südlicher Richtung Idri. Nach wenigen Kilometern finden wir den Pistenabzweig und fahren zunächst auf steinigem Untergrund weiter. Nach der Durchquerung eines großen Wadis kommen wir an den Beginn der Dünenstrecke. Wir arbeiten uns über kleine Dünen zu einer kleinen, mit Palmen bewachsenen Fläche durch. Hier ist für heute Feierabend. Auch da verzichten wir auf das Zelt, die vorige Nacht im Freien war einfach zu schön.

Neuer Tag, neues Glück. Bis Ubari haben wir jetzt nur noch Sand vor uns. Wohin das Auge auch reicht, wir sind von Millionen Tonnen von Sand umgeben. Anfangs gibt es noch etwas Probleme mit der Überwindung der hohen und steilen Dünen, aber mit der Zeit läuft es immer besser, und man traut sich sogar einen flotten Fahrstil zu. Trotzdem müssen wir auch hier ab und zu graben, was bei der Trockenheit und der nun ohne schützenden Sandschleier erbarmungslos herabscheinenden Sonne kein Kinderspiel ist. Besorgt stellen wir fest, dass der Wasserverbrauch hier in den Dünen höher ist als bei der Durchquerung der Hammada. Auf der einen Seite versuchen wir unseren Durst zu zügeln, doch auf der anderen Seite wissen wir, dass wir unbedingt trinken müssen, damit wir weder an Kraft, noch an Konzentration verlieren. Zur Mittagszeit wird es uns so heiß, dass wir eine Rast machen und uns in den Schatten unserer Maschinen legen. Da die Sonne sehr hoch steht, ist der Schattenwurf leider nicht sehr groß, so dass wir mehr unter als neben den Maschinen liegen. Als es uns nicht mehr ganz so heiß erscheint fahren wir weiter. Der Sand ist nun sehr weich, wir haben den Luftdruck mittlerweile auf nur 0,5 bar reduziert (das geht allerdings nur mit Reifenhaltern) und müssen kräftig am Gashahn drehen, damit wir nicht trotzdem einsinken. Unsere Reifen (Barum Stoneking) beweisen hier einmal mehr ihre Qualitäten. Wir fahren im Sand mit Schräglagen fast wie auf Asphalt, ein Drift ist kaum möglich. Jeder Dreh am Gasgriff wird unverzüglich in Vortrieb umgesetzt.

Unsere Piste verläuft jetzt durch Ebenen, die nur alle paar Kilometer von querliegenden Dünen unterbrochen werden. Diese sind höher und steiler als am Beginn der Strecke und wir brauchen jedes einzelne PS, um sie überqueren zu können. Meine Maschine hat immer öfter Aussetzer und qualmt schwarz aus dem Auspuff, ein sicheres Zeichen für zu fettes Gemisch. Ich baue den linken Hecktank ab und den darunter liegenden Luftfilter aus. Die Lamellen des Filters sind komplett mit Sand gefüllt und im Luftfilterkasten finde ich auch noch eine Handvoll. Nachdem ich Filter und Filterkasten gründlich gereinigt habe, geht es mit wesentlich verbessertem Motorlauf weiter. Leider sitzt der Ansaugschnorchel direkt vor dem Hinterrad, weshalb ich dieses Reinigungsritual zukünftig täglich zweimal wiederholen muss. Mitten in den Sandbergen finden wir plötzlich eine Autospur. So wie diese Spuren immer einen einfachen Weg über die Dünen finden, können sie nur von einem einheimischen Fahrer stammen. Ständig die GPS-Koordinaten im Auge behaltend, damit uns die Spuren nicht von unserem Weg abbringen, folgen wir den Reifenabdrücken und kommen so recht zügig vorwärts. Als die Dämmerung einsetzt haben wir unsere letzte Düne auf dieser Strecke überquert. Jetzt liegt noch eine ca. 35 Kilometer lange Ebene vor uns, dann werden wir Ubari erreicht haben. Wir überlegen, ob wir noch eine Nacht hier draußen bleiben sollen, aber dann siegt doch die Sehnsucht nach einem kalten Bier - mittlerweile haben wir uns an den Geschmack des alkoholfreien Malzgebräus gewöhnt. Mitten auf der Ebene geht mir dann der Sprit aus. Das kann doch nicht möglich sein, denken wir und fangen gleich zu rechnen an. Meine Transalp hat sich tatsächlich gute fünfzehn Liter Benzin auf hundert Kilometer genehmigt, ein Tribut an die flotte Fahrt im tiefen Sand. Zum Glück hat Werner noch ein paar Spritreste in seinem Hecktank, seine KTM ist auch mit nur neun Litern ausgekommen. In völliger Dunkelheit kommen wir in Ubari an. Zuerst suchen wir die Tankstelle auf, zu der uns freundliche Menschen den Weg weisen. Der Tankwart füllt nach libyscher Sitte solange Benzin ein, bis der Tank überläuft. Um danach meine Sitzbank zu reinigen, frage ich den Tankwart, ob ich den Lappen auf der Zapfsäule dafür nehmen dürfte, und er nickt mir freundlich zu. Als ich jedoch damit meine Sitzfläche reinige, schreit er plötzlich los und fuchtelt mit den Händen, ich habe sein Kopftuch erwischt, er hatte meine Frage wohl nicht verstanden. Nach einigen Worten der Entschuldigung lacht er schon wieder und zeigt uns den Weg zu einem Restaurant.

Dort gibt es leider nur Hühnchen zu essen, was Werner überhaupt nicht mag, und statt Bier müssen wir mit einer Art Saft vorlieb nehmen, der sicher reich an den Vitaminen B, A, S und F ist. Beiläufig kommen wir mit drei Jungs am Nebentisch ins Gespräch, die uns gleich an ihren Tisch bitten. Als wir nach einem Hotel fragen werden wir von Mohammed sofort zu sich nach Hause eingeladen, eine Ablehnung unsererseits lässt er nicht gelten. Aber zuerst will er mir das Haus zeigen, ich steige also in seinen Wagen, und er fährt los. Allerdings nicht direkt zu seinem Haus. Den Kassettenrekorder voll aufgedreht, fährt er durch die Stadt und präsentiert seinen 'Fang', den deutschen Tourist, seinen Freunden. Nach einigen City-Runden sind wir dann endlich da. Auf sein energisches Klopfen an der Tür öffnet ein Mädchen, das er mir als seine Schwester vorstellt. Im Haus sind noch drei andere Schwestern, die ich auch gleich begrüßen muss. Dann zeigt er mir die Dusche, das Wohnzimmer, das unser Schlafzimmer sein soll und seinen Schatz, eine Africa Twin ohne Motor, die im Hinterzimmer steht. Die habe er bei der Rallye Paris-Sirte-Dakar von einem Teilnehmer geschenkt bekommen, nachdem ihm der Motor ausgefallen war. Mir hat er sie für tausend amerikanische Dollar angeboten, was angesichts der noch vorhandenen Rallye-Accessoires nicht zu teuer ist, aber wohin mit dem Teil? Nachdem ich ihm klargemacht habe, dass ich nichts mit der Maschine anfangen könne, fahren wir zum Restaurant zurück, um Werner und unsere Maschinen zu holen. Wieder machen wir die Runde durch die City, diesmal um unsere Maschinen bei den Freunden vorzuführen. Endlich wieder beim Haus, laden wir unser Gepäck ab und gehen zuerst zum Duschen. Nach dem Duschen bekommen wir von Mohammed dezent ein kleines Fläschchen Deodorant gereicht, wohl ein kleiner Wink mit dem Zaunpfahl, da wir uns jetzt schon einige Tage nicht mehr waschen konnten. Dann kommen nacheinander der Bruder, ein Cousin, ein Freund und die Mutter nach Hause. Letztere bereitet uns ein Abendessen aus Nudeln, Fleisch, Brotteig und Soße zu. Wir unterhalten uns über Gott und die Welt, bekommen Bilder von früheren Besuchern aus Österreich gezeigt, und die ganze Zeit läuft unnötigerweise ein Fernseher im Hintergrund. Werner und ich sind sehr müde, aber die Unterhaltung will nicht enden. Gegen Mitternacht stelle ich mich schlafend, in der Hoffnung, dass unsere Gastgeber merken, dass wir schlafen möchten. In der Wüste waren wir ja immer schon um zwanzig Uhr im Schlafsack gewesen, dafür aber schon vor sechs Uhr morgens auf den Beinen, da schwächelt man schon etwas, wenn man aus dem Rhythmus kommt. Um halb zwei haben die Jungs endlich Erbarmen, die Stechmücken leider nicht. Kaum liegen wir auf unserem Nachtlager, fallen sie über uns her. Da hilft nur Zudecken mit dem Schlafsack, aber bei Temperaturen knapp unter dreißig Grad? So können wir kaum schlafen und verbringen die paar Stunden bis zum Morgen mit Schwitzen, Fluchen und Um-uns-Schlagen. Dann endlich werden wir durch Abdul erlöst, der uns das Frühstück ankündigt. Nach dem Frühstück werden die Adressen ausgetauscht und Fotos von Mohammed und Abdul auf unseren Maschinen geschossen. Dann müssen die Brüder zur Arbeit, und wir wollen weiter zu unserem nächsten Etappenziel, dem Campingplatz in Tekerkiba.

Von Ubari aus sind es nur ca. 70 km bis Tekerkiba, der dortige Campingplatz hat eine 'Hausdüne', d. h. direkt vor dem Eingang ist der recht steile Einstieg zum Gabron See. Nachdem wir uns häuslich niedergelassen haben, waschen wir unsere Wäsche, checken dann unsere Maschinen durch und ruhen uns von den Strapazen der letzten Tage aus. Als wir so im Schatten dösen, kommt der Küchenchef des kleinen Restaurants auf dem Platz und bringt uns eine Tafel mit gegrilltem Schaffleisch und Salat. "You have nothing to pay", sagt er und deutet auf eine etwa fünfzehnköpfige Gruppe Männer, die um einen Grill stehen, sich unterhalten und uns zuwinken. Wir bedanken uns, essen den Salat, aber das außen verbrannte und innen fast rohe Fleisch kriegen wir nicht herunter. Zum Glück streunen einige Hunde um den Campingplatz, die die Mahlzeit gerne annehmen. Am Nachmittag kommen wir mit unseren 'Gastgebern' ins Gespräch. Es sind alles Lehrer für Lehrer, wie uns ein sympathischer älterer Herr erklärt. "Wir kommen aus den verschiedensten arabischen Ländern", erklärt er uns in einwandfreiem Englisch, "Libanon, Irak, Saudi Arabien, Jordanien, Libyen und ich selbst bin aus Syrien", setzt er fort. Den ganzen Abend lang unterhalten wir uns über die verschiedensten Themen von Politik bis Reisen und erzählen von großen und kleinen Problemen in der Welt. Dann wird ein Festmahl bereitet, zu dem wir natürlich herzlich eingeladen sind. Auf großen Teppichen im Freien werden Platten mit Salaten und Fritten bereitgestellt, dazu gibt es natürlich wieder das obligatorische Schaf, innen rot und außen schwarz, worauf wir natürlich dankend verzichten wollen. "Nachnu ma nakul lachem!" (wir essen kein Fleisch) schwindeln wir, worauf der Syrer lachend den anderen erzählt, das wir Vegetarier wären. Während wir mit der linken Hand die inzwischen millionenfach eingetroffenen Fliegen verscheuchen, essen wir uns mit der rechten Hand an Grünzeug und Kartoffeln satt, vielleicht sind die Fliegen der wahre Grund, warum man in arabischen Ländern nur mit rechts isst? :-)))

Schon am frühen Morgen sind wir dabei, unsere Maschinen mit dem Notwendigsten für eine Tagestour zu den Mandaraseen zu packen. Das wichtigste ist hierbei eine große Salami, die Werner wegen eines kleinen Aberglaubens (das ist aber eine andere Geschichte) erst an diesen Seen anschneiden will. Unterwegs halten wir noch an einer Bäckerei und kaufen zwei Brote. Nach einigen Kilometern Straße sind wir am Einstieg in die Dünen. Zuerst senken wir wieder unseren Luftdruck, dann geht es gleich steil hinauf, auf eine Art Plateau, von wo aus wir uns mit Hilfe der Satellitennavigation den Weg durch den Sand suchen. Es sind nur knapp 50 Kilometer, bis wir den ersten See erreichen. In unmittelbarer Nähe der mit Schilf und Palmen umgebenen Senke wird der Sand brutal weich und tief. Es ist eine kräftezehrende Arbeit die Maschinen auf dem gewünschten Kurs zu halten. Am Ufer angekommen, sehen wir, dass der See fast ausgetrocknet ist. Aber egal, die Mandaraseen sind erreicht, jetzt wird das Messer gezückt und die im Packsack heiß gewordene und vor Fett triefende Eselswurst wird angeschnitten. Nach dem rituellen Mahl, bei der Hitze kriegen wir fast nichts runter, fahren wir weiter zum nächsten See. In einer tiefen Senke zwischen den Dünen liegt ganz malerisch der schönste der Mandaraseen, der Umm al Ma (Mutter des Wassers). Wir suchen uns ein schönes Plätzchen im spärlichen Schatten der Palmen und wollen zunächst zu Fuß um den See laufen. Als ich an einer Stelle am Ufer stiefeltief im Morast versinke, habe ich erst mal genug und stapfe zu den Maschinen zurück. An den Stiefeln kleben einige Pfund der stinkenden teerartigen und von Fliegen umschwirrten Masse und ich weiß noch nicht, wie ich mich davon befreien kann. Aber die Natur hilft mir, der Sand bedeckt die Oberfläche und verhindert, dass das Zeug an allem haftet, was in meine Nähe kommt, und die Sonne trocknet die Masse schnell aus, so dass sie schließlich von alleine abfällt. Als Werner von seiner Komplettumrundung wieder bei mir ankommt, beschließen wir, ein Bad zu nehmen. Das Wasser ist zwar nicht so salzig wie das Tote Meer, aber der Salzgehalt reicht aus, um uns an der Oberfläche zu halten, ohne dass wir mit Schwimmbewegungen nachhelfen müssen. Die Temperatur ist sehr angenehm, und es dauert lange, bis wir wieder ans Ufer schwimmen und uns für die Rückfahrt rüsten. Die Weiterfahrt nach Gabron streichen wir, weil wir zu wenig Sprit dabeihaben, um sicher dort anzukommen. Ein kleiner Navigationsfehler oder auslaufender Kraftstoff nach einem Sturz, und wir würden ohne Sprit irgendwo in den Dünen stehen bleiben. Die Rückfahrt zeigt uns, wie weise die Entscheidung war. Wir verfahren uns, finden den Dünenausstieg nicht und landen mitten im Nichts. Der direkte Weg zum Ausstieg ist durch sehr hohe weiche Dünen versperrt, so dass wir einen kleinen Umweg fahren müssen, um wieder zum Ausgangspunkt zu kommen. Durch Zufall finden wir unsere Spuren von der Hinfahrt wieder, und kurz darauf sind wir wieder an der Straße. Wäre uns so etwas auf dem Weg nach Gabron passiert, würden wir vielleicht heute noch im Sand liegen.

Auch am heutigen Tag sind wir schon wieder früh auf der Straße. Wir haben unser Lager in Tekerkiba abgebrochen und sind auf dem Weg zum Waw an Namus, dem legendären Vulkankrater und zugleich der südlichste Punkt unserer Reise. Bevor das Wüstenabenteuer wieder beginnt, haben wir zunächst noch etwa dreihundert Kilometer Asphaltstraße vor uns. Die Landschaft um uns herum ist sehr eintönig, und da die Straße meist geradeaus führt, ist die Fahrt sehr langweilig und ermüdend. In Zuwaylah wollen wir uns die Erlaubnis für die Piste zum Krater besorgen. Die Polizisten dort sind aber der Meinung, dass keine Genehmigung mehr notwendig sei. So fahren wir weiter bis nach Timsah, dem letzten Ort vor der ca. dreihundert Kilometer langen Offroadstrecke. An der Tankstelle füllen wir unsere Tanks bis zum Stehkragen voll, checken nochmals die Maschinen durch und überprüfen unsere Navigationsgeräte und das Kartenmaterial. Einige Jungs führen uns danach zu einem kleinen Lokal, das extra für uns geöffnet wird. Hier nehmen wir die letzten kühlen Getränke zu uns, unser Trinkwasservorrat hat ja stets Umgebungstemperatur, am Tag also mindestens 32 °C. Nach den Erfrischungen ist der Einstieg in die Piste schnell gefunden, und schon nach einigen Kilometern müssen wir den Luftdruck reduzieren, da die Strecke immer sandiger wird. Schließlich ist der Sand so tief und von LKWs verspurt, dass ich stürze und wieder über den Lenker absteige. Werner hat es nicht bemerkt und fährt weiter. Ich hebe rasch die Maschine auf und will weiterfahren, doch irgendwie bekomme ich die Fuhre nicht in Fahrt. Mein linker Oberschenkel schmerzt, und ich bekomme fast den Fuß nicht auf die Rasten, weshalb die Maschine bei jedem Anfahren wild zu schlingern anfängt und ich letztendlich wieder im Dreck liege. Wieder hebe ich die Maschine auf, aber meine Motivation ist dahin. Ich nehme mir das Funkgerät und versuche, im Schatten des Motorrads sitzend, Werner zu erreichen. Doch der meldet sich nicht. Ich stelle das Gerät auf Empfang, sitze apathisch da und habe von allem die Schnauze voll. Nach einer halben Stunde kommt Werner endlich wieder zurück. Auch er hatte sich festgefahren und konnte mich per Funk nicht erreichen. Ich eröffne ihm meinen Entschluss, nicht mehr weiterzufahren und dränge darauf, wieder zur Straße zurückzufahren. Da es schon Abend ist, meint Werner, dass wir ein paar hundert Meter neben der Piste lagern und erst den nächsten Morgen abwarten sollten. Mürrisch gehe ich auf seinen Vorschlag ein und fahre ein Stück weit in die flache Sandebene. Als ich erschöpft auf meiner Isomatte liege, sagt Werner, dass er noch etwas habe, was für die Ankunft am Waw an Namus bestimmt war, er aber aus medizinischen Gründen mir schon heute verabreichen will und zaubert eine Sigg-Flasche voll Glennfiddich Single Malt aus seiner Tasche. Nachdem wir gemeinsam die Hälfte der Flasche geleert haben, kann ich wieder lachen und bin zu neuen Taten bereit. "Natürlich fahren wir zum Vulkan", sage ich, "wäre doch gelacht, wenn wir das nicht schaffen würden". Den Sonnenuntergang und den gleichzeitigen Mondaufgang bewundernd, liegen wir bei Musik aus dem Weltempfänger noch einige Zeit wach und quatschen.

Die ersten Sonnenstrahlen wecken uns aus dem Schlaf, und nach einem schnellen Frühstück rollen wir weiter. Statt auf der verspurten Piste fahren wir direkt auf der Sandebene, was uns beiden um einiges leichter fällt. Nach ungefähr zwanzig Kilometern kommen wir zu einer festen steinigen Piste, hier können wir fast wie auf Asphalt fahren. Nach einiger Zeit halten wir an, um eine Pause zu machen, dabei fällt mir auf, dass der Vorderreifen an Werners Maschine ziemlich platt aussieht. Beim Wechsel vom Sand auf die feste Piste haben wir versäumt den Luftdruck wieder zu erhöhen und erhalten schon nach kurzer Zeit die Quittung dafür. Zum Glück liegen eine Menge Steine und eine Stahlschiene in der Gegend herum. Wir bauen eine kleine Rampe und heben die KTM darauf, so dass das Vorderrad ausgebaut werden kann. Schnell ist der Reifen runter und der Schlauch gewechselt. Nachdem wir wieder fahrbereit sind, bauen wir noch ein Steinmännchen, um den Ort der Panne zu kennzeichnen und um der Sitte der Nomaden Genüge zu tun, vor dem Betreten eines unbekannten Gebietes ein solches Zeichen zu errichten. Auf der Steinpiste kommen wir gut vorwärts und erreichen schon bald die Stelle, wo ein Polizeiposten die Reisenden kontrollieren soll. Aber die Stelle besteht nur aus verlassenen und verfallenen Baracken und einer Menge Müll. Einige Kilometer weiter kommt dann ein Militärposten, der unsere Ausweise kontrolliert und uns auf eine Umgehungspiste schickt, damit wir nicht direkt in das Militärlager bei Waw al Kebir fahren. Die Umgehung führt uns zunächst durch ein umzäuntes Gelände, auf dem alte Maschinen und LKWs abgestellt sind und dann durch ein künstlich bewässertes und mit Gemüse und Getreide bebautes Gelände. Einige Kilometer weiter haben wir ein wenig die Orientierung verloren, da unsere GPS-Punkte auf der alten Route basieren und der Pistenverlauf kaum zu erkennen ist. Als aus einem kleinen Tal zwei Militärjeeps auf uns zu kommen, ahnen wir schon, dass wir hier falsch sind und uns der Kaserne wohl zu sehr genähert haben. Einer der Soldaten schickt uns etwas unwirsch in nördliche Richtung, da aber immer noch keine Piste zu finden ist, navigieren wir in einigem Abstand querfeldein um das Soldatencamp herum. Nach einiger Zeit erreichen wir wieder die normale Piste und finden auf einer Anhöhe einen regelrechten Garten aus Steinmännchen. Wer hatte hier wohl soviel Zeit und Energie seiner Phantasie freien Lauf zu lassen? Wir finden eine Stelle, an der mit Steinen der Name David und die Jahreszahl 1998 auf dem Boden ausgelegt wurde. Nach einer Pause setzen wir unseren Weg durch die mit Sand versetzten Steinebenen fort. Am späten Nachmittag sehen wir am Horizont eine schwarze Fläche, die sich deutlich vom hellen Sand abhebt. Nach unseren Navigationsdaten sind es nur noch wenige Kilometer bis zum Kraterrand. Wir meistern noch ein paar mehr oder weniger schwierige Passagen durch Felder mit kindskopfgroßen Steinen und erreichen dann die wie mit dem Zirkel gezogene Linie, zwischen dem hellen gelblichen Sand und der tiefschwarzen Lava des Waw an Namus. Die Lavaschicht ist relativ feinkörnig und nur wenige Zentimeter dick. Während wir zum Kraterrand hinauffahren, ziehen unsere Maschinen helle Staubfahnen über dem dunklen Untergrund hinter sich her, bei der tiefstehenden Sonne ein wirklich toller Anblick. Die Kuppe des Kraterrandes kommt immer näher, noch sehen wir nur schwarzen Boden und zartblauen Himmel. Dann sind wir endlich oben, und uns bietet sich ein atemberaubender Anblick. Vor uns stürzt eine schwarze sandige Böschung steil in die Tiefe hinab, die ein Stück des inneren Kraterrandes des Vulkans ist. Der Krater ist kreisrund, ohne Risse und Spalten, manchmal nur leicht gewellt und ohne Steine und Felsen. In seiner Mitte erhebt sich ein mächtiger braunroter Lavahut von ungefähr einem Kilometer Durchmesser, der eigentliche Vulkankegel. Um den Kegel herum sind einige Seen platziert, die je nach den im Wasser gelösten Mineralien, blau, grün oder rot gefärbtes Wasser enthalten. Lange verweilen wir sprachlos vor der Naturschönheit, bis Werner zur Feier des erreichten Zieles den restlichen Glennfiddich aus seiner Packtasche holt. Wir prosten uns und dem Vulkan zu und freuen uns darüber, den Anblick genießen zu dürfen. Dann bauen wir das Zelt direkt auf dem Kraterrand auf, allerdings nur für mich, denn Werner will lieber draußen schlafen. Später, als der Mond direkt über dem Vulkankegel steht, kochen wir unser ein Reisfertiggericht zum Abendessen.

Am nächsten Morgen ist Werner etwas von den Plagegeistern aus den von Schilfgürteln umgebenen Seen verstochen, heißt doch Waw an Namus übersetzt 'Krater bei den Mücken'. Ich weiß schon, warum ich im Zelt schlafen wollte. Nach einem kargen Frühstück packen wir unsere Kameras und eine Wasserflasche zusammen und machen uns auf den Weg in das Kraterinnere. Es ist nicht ganz einfach den steilen Rand hinunter zu laufen und uns graut es schon vor dem Aufstieg. Im Inneren des Kraters haben sich kleine Dünen gebildet und man verschätzt sich doch etwas in den Entfernungen. Dann steigen wir den Kegel hinauf, von dort oben haben wir einen tollen Ausblick in jeden Winkel des Kraters. Vorsichtig wollen wir in den in früheren Zeiten Lava spuckenden Schlund schauen, doch der ist heute nur noch eine kleine, mit Steinen gefüllte Mulde. Von den Seen halten wir respektvoll Abstand, denn wie steht es noch im Reiseführer: 'Nähert sich der Unvorsichtige dem Schilf, stürzen sich die Mücken auf das arme Opfer, erstechen es und saugen es aus!' Nachdem wir einige Stunden im Krater verbracht haben, treten wir den Rückmarsch an, wir wollen noch vor der Mittagshitze wieder an unserem Lagerplatz sein. Der Aufstieg ist zwar anstrengend, doch zum Glück nicht ganz so dramatisch wie beim Abstieg befürchtet. Oben angekommen packen wir unsere Sachen zusammen, blicken noch ein letztes Mal auf das Naturwunder und machen uns auf den Rückweg. Die Fahrt zurück nach Timsah fällt uns wesentlich leichter als der Hinweg. Als wir nach ungefähr der halben Strecke wieder beim Landwirtschaftsprojekt ankommen, machen wir eine Pause. Das vermeintliche Verwaltungsgebäude entpuppt sich sogar als Hotel, in dem wir ein reichhaltiges Essen bekommen und frisches kühles Wasser zum trinken. Einer der Mitarbeiter möchte sich unbedingt mit unseren Motorrädern fotografieren lassen. Als wir ihn jedoch nach seiner Adresse fragen, um ihm die Bilder zuschicken zu können, kann er uns keine nennen. Frisch gestärkt fahren wir dann wieder auf der harten Piste weiter und bauen am Abend unser Nachtlager fast an der gleichen Stelle auf, wie zwei Tage zuvor.

Nachdem wir in Timsah wieder aufgetankt haben, fahren wir auf der Straße zur Küste hoch. Da die Strecke über Hunderte von Kilometern fast nur geradeaus führt, ist die Fahrt sehr langweilig. Die Langeweile wird an einem Kontrollposten jäh unterbrochen, als die Polizisten Werners platten Hinterreifen bemerken. Nachdem wir freundlich aus der Mittagshitze in den Schatten des Vordachs gelotst wurden, schaut uns das Kontrollpersonal interessiert beim Wechseln des Schlauches zu. Bewundernd äußern sie sich über die Schnelligkeit unserer Arbeit und noch bevor der Kollege, der für uns Wasser und Seife aus einem der umstehenden Gebäude besorgt, wieder zurück ist, sind wir schon mit dem Radeinbau fertig. Kaum haben wir uns bei allen bedankt und verabschiedet, rollen wir wieder durch die Gluthitze weiter. Auf der Strecke treffen wir auf einige total überladene Lastwagen, die ihre Ladung und die noch obenauf sitzenden Menschen in den Süden des Landes bringen. Bei einer solchen Überbeanspruchung der Tragfähigkeit, sind Schäden an den Achsen und besonders an den Reifen schon vorprogrammiert. Die unzähligen Wracks und defekten Reifen an den Straßen und Pisten sprechen Bände. Doch zunächst trifft es Werner, dessen Maschine bestimmt nicht überladen ist. Seinem Hinterreifen geht schon wieder die Luft aus. Durch wiederholtes Aufpumpen schaffen wir noch einige Dutzend Kilometer, bis wir einen passenden Lagerplatz gefunden haben. Hier wird in Ruhe der Schlauch geflickt und das Nachtlager bereitet.

Gegen Mittag des folgenden Tages erreichen wir den Ort Shwayrif. In einer Art Café mit angeschlossenem Laden wollen wir endlich wieder was Kühles trinken. Die Cola ist jedoch so kalt, dass sie nach dem Öffnen der Dose sofort zu Eis gefriert. So steigen wir auf alkoholfreies Bier um, das seinen Aggregatzustand zum Glück nicht ändert. Als wir dann den Weg nach Abu Nijayn suchen, kommen wir aus Versehen auf die Piste des Man-Made-River Projekts. Der Man Made River ist eine riesige Pipeline, die das sogenannte fossile Wasser aus den Kufra Oasen nach Norden an die Küste bringen soll, um es dort zur Bewässerung der Felder zu verwenden. Dieses Projekt ist jedoch umstritten, da befürchtet wird, dass nicht nur die Oasen um Kufra austrocknen werden, sondern weit bis nach Ägypten hinein der sinkende Grundwasserspiegel sich bemerkbar machen wird. Da die grobe Richtung der Piste stimmt, und wir auf ihr gut voran kommen, fahren wir auf ihr weiter. Nach einer knappen Stunde kommt uns ein Konvoi aus fast sechzig LKWs entgegen, die ihre Ladung, die riesigen Pipelinerohre, am Kopf der Baustelle abgeladen haben und nun auf dem Rückweg zur erneuten Beladung sind. Der durch sie aufgewirbelte Staub zwingt uns ab und zu zum Anhalten, da wir teilweise die Hand nicht vor den Augen sehen können. Nach ca. 200 Kilometern kommen wir wieder auf eine geteerte Straße, die uns nach Misratah am Golf von Sirte bringt. Direkt am Strand steht dort eine große Hotelanlage, wo wir uns nach einer Übernachtungsmöglichkeit erkundigen. Da hier noch keine Saison ist, muß erst mit dem 'Chef' telefoniert werden, er soll entscheiden, ob wir hier ein Zimmer bekommen. Wir haben Glück und werden in einem einfachen aber sauberen Zimmer untergebracht. Beim Abendessen im Restaurant nebenan, werden wir sogar von einem Zauberer unterhalten, der bei viel zu lauter Musik seine Kunststücke präsentiert.

Nun fahren wir im frischen Wind an der Küste entlang, zumindest außerhalb der Ortschaften. In den Orten selbst können wir uns nur schwer wieder daran gewöhnen, dass es außer uns noch andere Verkehrsteilnehmer gibt. Zwischen Zliten und Khoms liegt Leptis Magna, eine 500 v. Chr. von Karthager und Makäer gegen die griechische Vormachtsstellung im Mittelmeer gebaute Stadt, die 48 v. Chr. von den Römern der Provincia Africa angegliedert wurde. Ein Besuch der Ausgrabungen lohnt sich wirklich, es ist eine der imposantesten Ruinenstätte der gesamten antiken Welt. Wir parken die Maschinen im Schatten einiger Bäume und bitten den Ticketverkäufer darum, ein Auge auf unsere 'Kamele' zu werfen. Dann stürzen wir uns mit dem Fotoapparat bewaffnet in die Ausgrabungsstätte. Unter den für libysche Verhältnisse zahlreichen Besuchern, vor allem einheimische Schulklassen, fallen wir mit unseren Cross-Klamotten auf wie bunte Hunde. Ständig werden wir nach dem Woher und Wohin gefragt, so dass wir uns fast wie die Hauptattraktion auf dem Gelände vorkommen.

Am nächsten Tag arbeiten wir uns durch den Verkehr von Tripolis. Wir sind jetzt seit Wochen nicht mehr an so viele Menschen gewöhnt, deshalb nehmen wir schnell Reißaus und beeilen uns, nach Zuwarah zu kommen, unserer letzten Station in Libyen. Hier quartieren wir uns in Werners altbekanntem Hotel ein und verbringen den Abend mit einem Bummel durch die Stadt, wo wir unter anderem zwei Cafés unsicher machen und das Treiben der Menschen beobachten. Nach einer wegen Stechmückenüberfällen fast schlaflosen Nacht, packen wir müde unsere Sachen auf die Maschinen und fahren ohne Frühstück, weil es im Hotel keines gibt, zur tunesischen Grenze. Vor den Schaltern stehen schon lange Schlangen von Autos, wie lange werden wir hier wohl warten müssen, bis wir abgefertigt sind? Doch die Araber sind sehr nett, überall winken sie uns nach vorne und geben uns den Vortritt. Auf der libyschen Seite sind wir nach guten anderthalb Stunden fertig, aber bei den Tunesiern gibt es Probleme. Jedem von uns fehlt ein kleiner Zettel, der, laut Aussage des Zöllners, immens wichtig ist und ohne den wir nicht einreisen könnten. Nach einer dreiviertel Stunde intensiven Suchens nach den beiden Zetteln, von denen wir nicht einmal wissen, wie sie aussehen, finden wir endlich zwei abgerissene Stücke Papier mit handschriftlichen Zeilen und einem Stempel. Genau diese Dinger wollte der gute Mann haben. Er freut sich mit uns und nach einer weiteren halben Stunde dürfen wir endlich weiter. Auf den ersten Kilometern in Tunesien stehen wieder die Geldwechsler, und nach zähen Verhandlungen tauschen wir unsere restlichen libyschen Dinare in tunesische ein. Nach den Strapazen in Libyen wollen wir nun etwas entspannen, deshalb lenken wir unsere motorgetriebenen Rösser auf die Insel Djerba. Nach einigem Suchen finden wir ein adäquates Hotel mit großem Pool und einigem anderen Schnickschnack. Jetzt wird schnell das Zimmer bezogen, und dann geht es endlich ins kühle Wasser. Wie oft haben wir in der Wüste von so einem Augenblick geträumt? Nach dem erfrischenden Bad gönnen wir uns das seit Wochen erste Bier mit Alkohol, mhh, wie das zischt. Die nächsten zwei Tage verbringen wir nur mit Faulenzen, am Pool liegen und ab und zu kleinen Spaziergängen durch die Ortschaft. Dann haben wir endlich genug und wollen weiter. An der Rezeption werden wir von zwei Schweizer Mädels für Rallyefahrer gehalten, sie löchern uns mit Fragen und wollen uns unbedingt fotografieren. Eine von ihnen stürzt gleich los, um den Fotoapparat zu holen. Noch in der Hotelhalle muss ein Kellner Werner und mich mit den beiden Schweizerinnen in unserer Mitte ablichten. Während wir unsere Rechnung bezahlen, warten die beiden auf dem Parkplatz auf uns, wo wir zusammen mit unseren Maschinen ins Visier genommen werden. Nur mit Mühe können wir endlich weiterfahren, wie müssen sich erst die Jungs von den ganzen Boy-Groups fühlen, wenn sie von Hunderten von Mädchen umschwärmt werden.

Mit einer Fähre setzen wir wieder aufs Festland über und fahren dann über Metameur auf einer Schotterstrecke nach Matmata. Der Weg beginnt in einer Ebene und windet sich schließlich einige Hügel hinauf. Hinter Matmata verpassen wir irgendwie die Straße nach El Hamma, so dass wir einen Umweg über Gabès fahren müssen. Von El Hamma aus geht es am Rande des Chott el Fejaj bis nach Kebili, von wo aus wir den Chott el Jerid durchqueren und abends in Tozeur landen. Im Hotel Splendid finden wir ein Zimmer für uns und einen geschlossenen Innenhof für unsere Maschinen. Leider ist das Hotel alles andere als splendid. Überall riecht es nach verstopfter Toilette, und in der Kneipe im Parterre lärmen die Einheimischen bis spät in die Nacht. Die nächste Tagesetappe führt uns dann über Gafsa nach Norden. Leider wird unsere Fahrt durch einen starken und heißen Wind etwas gebremst. Der aufgewirbelte Staub sticht auf der Haut und nimmt uns die Sicht. Schließlich fängt auch noch meine Maschine an zu schwimmen. Die Ursache ist schnell gefunden, der Vorderreifen ist platt. Bis Kairouan sind es noch gute dreißig Kilometer, in der Hoffnung noch so weit zu kommen, pumpe ich den Reifen auf und versuche mein Glück. Ohne Probleme hält der Schlauch den Druck bis zu einem Hotel in Kairouan. Nachdem wir unser Zimmer bezogen haben, geht es gleich ans Reparieren. Flugs ist der Schlauch draußen und im Wasser des Hotelpools finden wir rasch das kleine Loch. Da wir keinen Ersatzschlauch mehr haben, wird er geflickt. Nach der erfolgreichen Arbeit haben wir noch genug Zeit, um in die Innenstadt zu laufen und uns dort umzusehen. Kairouan ist die bedeutendste islamische Stadt Nordafrikas, nach wie vor das geistig-religiöse Zentrum des Landes und eine vielbesuchte Pilgerstätte. Das die Stadt außerdem ein bedeutendes Zentrum der Teppichherstellung ist, merkt man an der Anzahl der einschlägigen Geschäfte. Mit allen mögliche Tricks versuchen uns die Leute zum Kauf eines Teppichs zu überreden. Unser bester Trick um ihnen zu entkommen ist, zu behaupten, dass wir allergisch gegen den Staub in den Teppichen sind und deshalb nur Fliesen und Holzböden für uns interessant sind. Die Ausrede wirkt tatsächlich! Natürlich setzen wir uns auch in strategisch günstig gelegene Cafés, um schmunzelnd zu beobachten, wie die anderen Touries von den Führern und Verkäufern bedrängt werden. Auf dem Rückweg zum Hotel verlaufen wir uns doch tatsächlich in den Gassen. "Ohne GPS klappt es wohl nicht mehr", witzeln wir. Natürlich finden wir den rechten Weg zeitig genug, um nicht das Abendessen zu verpassen. Den Abend beschließen wir mit einem Drink in der Hotelbar.

Die letzte Etappe führt uns zunächst bis zur Kreuzung bei Sbikha nach Norden, dort schwenken wir in nordwestliche Richtung, wo wir später bei Nebhana auf eine schöne Piste abbiegen. Diese verläuft einige Zeit durch ein grünes Wadi und verschwindet plötzlich in einem Flüsschen. Am gegenüberliegenden Ufer kommt der Weg wieder zum Vorschein, also müssen wir durch. Bei der Durchquerung holt sich Werner nasse Füße. Die Landschaft um uns herum ist jedoch so schön, dass wir gerne eine Pause einlegen, um die Strümpfe zu trocknen. Dabei beobachten wir Hirten, die ihre Schafe und Ziegen zur Tränke an das Ufer führen und einige Frauen, die Wasser in Kanister füllen, diese auf Esel verzurren und sich dann auf den beschwerlichen Marsch in die Hügel begeben. Nach weiteren schönen Offroad-Kilometern sind wir kurz vor El Fahs. Vorbei an der Ausgrabungsstätte Thuburbo Majus und an dem römischen Aquädukt bei Oudna, fahren wir durch die südlichen Vororte von Tunis und erreichen bald darauf die Jugendherberge in Rades. Unsere Libyentour ist hier zu Ende, und wir erinnern uns noch einmal an die verschiedensten Erlebnisse in der Sahara. Die Reise war nicht immer einfach, die klimatischen Verhältnisse und die Abgeschiedenheit in der Wüste erfordern eine gute Planung und Ausrüstung und mehr als nur Grundkenntnisse in Fahrtechnik und Navigation. Werner sieht alles viel gelassener als ich, schließlich war er schon einige Male hier. Für mich war es die erste Reise nach Libyen, aber bereits jetzt steht fest, es war bestimmt nicht die letzte!