Tunesien 2003 - Bericht
Kaum im Hafen von Genua angekommen, fangen alle schon das Schrauben an. Marcel überbrückt seinen Leerlaufschalter, weil er den Kupplungsschalter aus transporttechnischen Gründen deaktiviert hatte, Jans GPS-Kabel ist falsch angeschlossen und muss korrigiert werden und Michas GPS ist gleich ganz kaputt. Das fängt ja schon prima an, hoffentlich zieht sich die Schrauberei nicht wie ein Faden durch die gesamte Reise …
In Tunis rollen wir fast als erste von der Fähre und die Abfertigung dauert nicht mal 10 Minuten. Es ist erst 17:00 Uhr und so beschließen wir gleich bis Kairouan durchzufahren. Nicht ganz zwei Stunden später erreichen wir unser Hotel und freuen uns über die heiße Dusche, denn die Fahrt war ganz schön frisch.
Vor der Weiterfahrt tanken wir voll und während die anderen die Umgehungsstraße um Kairouan benutzen, fahren Marcel und ich in die Stadt hinein, um einen Hammer und ein paar Zimmermannsnägel zu besorgen. Trotz Packliste hatte keiner einen Hammer dabei und ich selbst hatte die Zelthäringe vergessen. Leider lässt sich Marcel über den Tisch ziehen und bezahlt für einen 200 Gramm Hammer und 10 zu kurzen Nägeln 15 TD (ca. 10 Euro!) Wir verstauen das „goldene“ Werkzeug und fahren zum ausgemachten Treffpunkt weiter. Als wir ankommen, ist jedoch noch niemand da. Ich rufe Luigi an und frage was los ist. Er erklärt, dass das Schauglas an Jans Maschine rausgefallen sei und sie gerade einen Reparaturversuch starten. Marcel und ich setzen uns in ein Café und warten. Es ist ziemlich kalt und die Luft zieht unangenehm durch die Ritzen des Windschutzes neben der Terrasse. Wir sitzen eingepackt in Jacke und dicker Mütze da und schlürfen heißen Tee a la Menthe. Irgendwann stoßen Luigi und Micha zu uns. Sie erzählen, Jan und Norbert seien nach Sousse gefahren, um dort in einer Werkstatt das Problem zu lösen. Wir sollen schon mal voraus fahren und uns in der Zwischenzeit in Tatouine um die Genehmigung für das Sperrgebiet kümmern. Nach dem auch die beiden sich mit heißem Tee gestärkt haben, setzen wir die Fahrt fort. Die Asphaltstraße zieht sich bei Kälte noch mehr, als sie es schon in der wärmeren Jahreszeit tut. Es geht fast immer nur geradeaus und auch landschaftlich gibt es keine Höhepunkte. Hinter Gabés essen wir zu Mittag. Natürlich bestellen wir als Vorspeise Harissa mit Olivenöl und stürzen uns mit dem frischen Brot auf das Schälchen, von dem wir noch zweimal nachbestellen. Normalerweise ist die rote Paste ziemlich scharf, durch das Öl wird die Schärfe aber stark gemildert, so dass man die Schleimhäute im Mund (und auch später beim ...) nicht ganz so stark in Mitleidenschaft zieht. Als Hauptgang gibt es halbe Hähnchen mit Pommes und Salat. Gar nicht mal so schlecht, wenn wir nicht nach dem Essen beobachtet hätten, wie eine große Kakerlake von der Straße her in das Restaurant läuft und gemütlich in die Küche spaziert. Zum Glück haben wir das nicht vorher schon gesehen …
Kurz vor Tataouine treffen wir auf Jürgen und Gabi, die wir von unserer Algerientour im letzten Frühjahr her kennen. Wir hatten die beiden schon auf der Fähre getroffen und wussten, dass sie auch ins Sperrgebiet wollten. Trotzdem ein netter Zufall. Sie fahren mit ihrem Mitsubishi voraus und führen uns direkt zum Syndicat d’Initiative, bei dem wir die Genehmigung von zuhause aus per Fax beantragt haben. Die Dame hinter dem Schreibtisch ist sehr nett und wir plaudern ein wenig. Dann müssen wir unterschreiben, dass wir keine militärischen oder industriellen Anlagen fotografieren und wir uns auf eigene Gefahr in das Sperrgebiet begeben. Außerdem will sie wissen, ob wir schon Wüsten-Erfahrungen haben. Nach dem das alles geklärt ist, bezahlen wir für uns sechs Personen insgesamt 68 TD und bekommen dafür 10 Kopien der Genehmigung und eine Landkarte pro Fahrzeug. Inzwischen haben Luigi und Micha die Unterkunft im schräg gegenüber liegenden Hotel Gazelle klar gemacht. Nach dem Abpacken will ich noch schnell die Daten vom GPS auf meinem Palm sichern, dieser aber zieht einen kompletten Neustart vor und löscht dabei sämtliche Programme. Vor meinem geistigen Auge sehe ich wie der PDA an der Hotelwand zerschellt und in tausend Stücke zerbricht. Aber Gewalt hat noch nie etwas gebracht und so lebt das nun unnütze Teil in den tiefsten Stellen meines Gepäcks weiter. Abends melden sich Jan und Norbert, die Maschine sei wieder klar und morgen würden sie wieder zu uns stoßen. Wir diskutieren welche Möglichkeiten wir haben, um den Zeitverlust zu verringern. Letztendlich ist es aber das Beste, wenn wir hier in Tataouine auf die beiden warten.
Den Wartetag lassen wir gemütlich angehen. Einigermaßen ausschlafen, in Ruhe frühstücken und danach ein wenig am Mopped schrauben. Wir checken noch mal die Ölstände und die Kettenspannungen, montieren die Gazefilter auf die Filterkästen und Micha klebt seinen linken Griffgummi wieder an, der sich schon seit Tunis immer wieder verdreht. Danach schauen wir uns die Stadt an, lassen uns beim Barbier rasieren und schlendern über den Markt. Hier zeigt Luigi wieder mal, dass er beim Handeln die besseren Nerven hat als die einheimischen Händler und besorgt sich nach langem Gefeilsche zur Tüte mit frischem Tee auch noch sehr günstig die passende Teekanne. In einem Café treffen wir auf Gisela und Sönke, die mit ihren XTs unterwegs sind. Wir unterhalten uns lange mit ihnen und trinken dabei Café au Lait und Tee. Auf dem Rückweg kaufen wir noch Wasservorräte ein, die wir in unsere Transportsäcke füllen. In einem von Luigis Wassersäcken ist ein Loch und Marcels Wassersack wird am Verschluss nicht richtig dicht. Die Wassersäcke von Ortlieb taugen anscheinend nur für einen Campingurlaub am Gardasee, aber nicht als Vorratsbehälter für einen Wüstentrip. Hatten wir das nicht schon in Algerien gelernt?
Relativ spät am Abend tauchen dann auch Jan und Norbert auf. Sie haben noch ein paar Umwege über ein paar Pisten genommen. Stolz zeigen sie auf ihre Schaugläser, bzw. auf das, was jetzt an deren Stelle sitzt. Die Werkstatt in Sousse hat eine Gewindehülse mit einem Bund gedreht und von innen eingesetzt. Von außen wird in diese Hülse eine Deckelschraube (sieht aus wie der Schaulochdeckel einer Honda Transalp) mit O-Ring eingeschraubt. Das ist sauber gearbeitet, sitzt bombenfest und ist dicht. Norbert hat sich bei der Gelegenheit auch gleich sein Schauglas präventiv ersetzen lassen. Wir anderen erwägen diese Lösung zuhause auch in Angriff zu nehmen, da das Schauglas wohl öfter verloren wird und man es nicht wirklich braucht.
Nach dem wir in Tataouine alles vollgetankt haben, machen wir uns auf den Weg nach Süden. Doch noch innerhalb des Stadtgebiets ist plötzlich keiner mehr hinter mir. Ich fahre zurück und sehe Jan beim Schrauben. Sein Kupplungszug ist gerissen. Vorausschauend hatte er schon einen Zug parallel verlegt, so dauert die Aktion nur eine kurze Zeit. Gut dass es vor einer Bäckerei passiert ist, da packen wir doch gleich noch ein paar frische Brote ein. Jan meldet Reparaturvollzug und mit schwarzen Fingern setzen wir uns wieder in Bewegung. Die 80 Kilometer bis Remada sind schweinekalt und leider auch ziemlich langweilig. Durchgefroren aber erleichtert erreichen wir den kleinen Ort. Beim dortigen Militärposten müssen wir nun unsere Genehmigung noch abstempeln lassen, bevor wir ins Sperrgebiet rein dürfen. Die Leute in der Kaserne sind nett und freundlich und Marcel und ich unterhalten uns ein wenig mit der Wache, während wir auf unsere Stempel warten. Einige Kinder tollen um uns herum und wir machen uns einen Spaß daraus ihnen zu erklären, dass Jan kein Monsieur sondern eine Madame wäre. Wegen der Kälte hat er seinen Helm noch an und man kann den Unterschied nicht leicht erkennen. So rennen die Kids nun um ihn herum und rufen "Madame, Madame, donnez moi un Stylo!" Jan ist deswegen doch etwas genervt ;-) Nach ca. 15 Minuten sind die Formalitäten erledigt und wir können weiter. Zunächst ergänzen wir unsere Spritvorräte. Wir sind zwar erst 80 Kilometer gefahren, aber man weiß ja nie, was auf einen zukommt und Tankstellen sind im Sperrgebiet nicht an jeder Ecke zu finden. Da das Zählwerk der Zapfsäule kaputt ist, füllt der Tankwart das Benzin in einen Kanister mit Volumenmarkierungen und füllt dann den Brennstoff über einen Trichter in unsere Tanks. Der kräftige Wind sorgt dafür, dass ein nicht unbeträchtlicher Teil daneben geht und über unser Gepäck verteilt wird, was uns im wahrsten Sinne des Wortes noch eine ganze Weile stinken wird. Bei Kambout wird unsere Genehmigung kontrolliert, bevor wir ins Sperrgebiet einfahren dürfen. Wir wollen zunächst nach Tiaret hinunter und folgen der Piste nach Süden. Diese besteht aus festem Boden, etwas Schotter und etwas Wellblech, also nicht ganz eine Autobahn, aber fast genauso langweilig. Zwischendurch immer wieder mal Kontrollen der Garde National und des Militärs, bei der wir jedes Mal eine der Genehmigungs-Kopien abgeben müssen. Erst unweit vor Tiaret lockern einige Sandfelder den Boden und damit auch unsere Fahrt etwas auf. Gegen 16:00 Uhr erreichen wir den einsamen Posten. Wir tanken an der Tankstelle der Trapsa auf und lassen uns vom „Chef“ der Tanke eine feste Unterkunft in den Arbeiterhütten – etwas hochtrabend „Bungalows“ genannt – für 15 TD/Person vermieten. Das ist zwar etwas weicheimäßig, aber am Weihnachtsabend wollen wir nicht frieren sondern feiern. Jeder Bungalow besteht aus 4 Einzelzimmern, von denen jeweils zwei sich ein riesiges Badezimmer teilen. Wegen der Kälte bekommen wir Ölradiatoren und elektrische Heizstrahler in die Zimmer gestellt. Beim Einstecken der Stecker bilden sich bis zu 20 Zentimeter lange Überschlagsfunken, deshalb lassen wir unsere Finger von diesen Teilen und regeln die Temperatur in dem wir die Tür ab und zu öffnen. Nach dem Duschen fangen wir mit Kochen an. Zuerst gibt es eine heiße Hühnerbrühe mit Nudeln von Feinkost Aldi. Als Vorspeise kommt frisches Gemüse vom Markt in Tataouine auf den Tisch und zum Hauptgang werden Spätzle mit Linsen aus dem Maggi Kochstudio gereicht. Nach dem Essen setzen wir die drei Liter Glühwein auf, die Norbert schon die ganze Zeit so schwer im Koffer liegen und zünden die Weihnachtskerze an, die uns Stammtischschwester Marion zusammen mit einer Flasche Whisky für den Weihnachtsabend mitgegeben hat. Von zahllosen Störgeräuschen begleitet dudelt Weihnachtsmusik aus dem Weltempfänger. Etwas wehmütig denken wir an die Familien zuhause, doch niemand von uns möchte in diesen Moment wirklich mit dem heimischen Wohnzimmer tauschen …
Gleich hinter Tiaret wird es immer sandiger. Zunächst nur hin und wieder ein paar Sandfelder, dann auch ein paar kleine Dünen, die vom Wind über die Piste getrieben werden. Das Wellblech wird auch stärker, so dass wir immer mehr auf dem Sand neben der Piste her fahren. Nach ca. 70 Kilometern erreichen wir ein paar höhere Dünen. Die Piste ist sehr stark verspurt und wir wollen lieber versuchen die hohen Sandberge zu meistern. Der Sand trägt zwar ganz gut, jedoch sind einige tiefe weiche Trichter zu umsteuern. Nach etwas kraftraubender Arbeit erreiche ich die Spitze der höchsten Düne. Als ich mich umschaue, ist Marcel gerade dabei seine Maschine nach einem Sturz wieder aufzurichten. Micha steht rechts unterhalb von mir auf einer anderen Düne. Jan und Norbert bleiben eine Etage unter mir und Luigi schafft es bis zu mir herauf. Ich laufe herunter um Marcel zu helfen, natürlich nicht ohne Kamera ;-) Als seine Kiste wieder steht, erkunden wir den weiteren Weg, aber der sieht nicht besonders gut aus. Micha wendet sich noch weiter nach rechts und umschifft den höchsten Teil der Düne. Norbert fährt ein Stück zurück und macht es ihm nach. Luigi lässt sich rückwärts runterrutschen und umfährt gemeinsam mit Marcel die steilen Abhänge auf der Südseite. Ich steige zu meiner Maschine hinauf, aber zwei Meter bevor ich sie erreiche, wird sie vom Wind umgeblasen. Umständlich richte ich den beladenen Bock wieder auf. Doch nun will sie nicht mehr anspringen. Ich orgele mit und ohne Choke, aber erst als die Batterie fast leer ist, will der Motor (zum Glück) wieder arbeiten. Ich überlege nun, wie ich jetzt weiter komme. Jan steht links unter mir, der Weg zu ihm ist recht steil. Augen zu und durch. Ich fahre den steilen Hang hinunter, wühle mich durch ein weiches Stück rechts herum, Gas auf … und schon liege ich. Wieder den Bock hochwuchten und keuchend den Motor anwerfen. Jan steht mittlerweile vor mir auf dem nächsten Dünengipfel. Ich wühle mich bis neben ihn hin. Von hier oben sehen wir drei weitere Motorradfahrer, die von der anderen Seite auf den Dünenzug zu kommen. Vor uns liegt die nächste steile Abfahrt. Ermutigt von der ersten geben Jan und ich Gas, fahren hinunter und folgen den weiteren Dünentälern bis wir die Piste am südlichen Ende der Sandbarriere ereichen. Hier stehen schon Micha und Norbert und warten auf uns. Während Luigi und Marcel von Norden her zu uns stoßen, kommen von Süden her die anderen drei Moppedfahrer auf uns zu, die wir von oben schon gesehen haben. Wie klein die Welt doch ist, die drei sind Fred, Rainer und Gerald, mit denen wir uns am 30.12. sowieso in Douz treffen wollten. Fred hat ein kleines Wüstentreffen organisiert, das auch der eigentlich Auslöser für unsere Tour ist. Echt lustig so ein Zufall, obwohl es im „kleinen“ Tunesien öfter passiert, dass man sich über den Weg läuft. Nachdem wir die üblichen Infos ausgetauscht haben, setzt jede Gruppe ihren Weg fort, das Trio weiter nach Norden und unser Sextett macht sich Richtung Süden auf.
Hinter dem Dünenriegel fahren wir wieder neben der Piste weiter. Wir durchqueren einen Chott und kämpfen mit dem weichen Untergrund. Der Motor muss ganz schön mit dem Boden kämpfen, der ständig versucht die Räder am weiterdrehen zu hindern. Hin und wieder kommen uns Bilder in den Sinn, auf denen die Fahrzeuge im Salzboden versinken, aber solange die frischen Autospuren vor uns nicht abrupt enden und nur noch ein Loch zu sehen ist, solange wird uns der Salzboden auch noch tragen. Als wir wieder richtigen Sandboden erreichen, rasten wir im Windschatten einer kleinen Düne. Ein Müsliriegel bildet die willkommene Zwischenmahlzeit. Ab hier wird die Strecke wieder steiniger und wir suchen möglichst Sandboden, um die Maschinen und uns zu schonen. Kurz vor Bordj el Khadra passieren wir einen malerischen schilfumrandeten See, bevor wir am Militärposten unseren und Tunesiens südlichstem Punkt erreichen. Die Soldaten sammeln unsere Pässe ein und schicken uns ins Café 7. November. So kann man sein Geschäft auch ankurbeln, aber wir wären sowieso ins Café gefahren ;-) Zum Tee bestellen wir frisches Fladenbrot und Norbert gibt eine Runde Landjäger aus, um das Gewicht seiner Koffer weiter zu reduzieren. Der Wirt lädt uns zum Übernachten ein, aber es ist noch zu früh und wir wollen lieber zurück in die Dünen und dort schlafen. Nach dem wir unsere Pässe wieder haben, düsen wir wieder Richtung Norden, weichen aber schon bald nach Westen in die Dünen aus. Als wir nach einem geschützten Schlafplatz Ausschau halten, stehen wir plötzlich an einem supersteilen Dünenabhang und zögern mit der Abfahrt. Jan fährt voraus und bringt uns in Zugzwang. Bei der Abfahrt stellt sich heraus, dass der Hang doch nicht so schlimm war, wie wir zuerst dachten, aber die Knie haben schon etwas geschlottert. Kurz darauf erreichen wir eine windgeschützten Stelle, die ideal für einen Lagerplatz ist. Wir bauen die Zelte auf und werfen die Kocher an. Nach dem Essen liegen wir im Sand und staunen wieder mal über den Sternenhimmel. Vor uns glänzt die schmale Sichel des Mondes, schräg darüber leuchtet die Venus. Hinter uns erstrahlen die Sternenbilder des Orion und der Fische. Danke an Norbert, der sich mit den Sternen auskennt uns einiges Interessantes dazu erzählt hat. Auch ein paar Sternschnuppen ziehen ihre Bahnen. Zeit um zu träumen …
Dick eingemummelt liegen wir in unseren Schlafsäcken, keiner will raus in die Kälte - sogar ich nicht, der immer als "der Morgengrauen" betitelt wird ;-) Als wir dann doch endlich draußen sind, trauen wir unseren Augen nicht, die Zelte sind dick mit Reif überzogen, aber nicht nur die, sondern auch die Dünen um uns herum. So etwas haben wir alle noch nicht gesehen. Sieht fast wir Zuckerguss aus. Während wir das Wasser für das Frühstück kochen, wärmen wir unsere klammen Finger an den warmen Töpfen. Genüsslich schlürfen wir den heißen Tee und spüren wie sich die Wärme im Körper ausbreitet. Nach dem Zusammenpacken fahren wir weiter durch die Dünen und treffen kurz vor Tiaret wieder auf die Piste. An einem Kontrollposten treffen wir auch auf Fred, der in einem Pickup sitzt. Er erzählt, dass seine Big plötzlich keine Kraft mehr ans Hinterrad übertragen hatte und er die Maschine jetzt nach Douz bringen lässt. Seine beiden Gefährten sind nach El Borma unterwegs und er wird sie in ein paar Tagen in Douz wieder treffen. Wir verabschieden uns und wünschen uns gegenseitig Glück. In Tiaret tanken wir wieder alles auf und entsorgen noch unseren Müll bevor wir unseren Weg fortsetzen. Zunächst folgen wir den Pisten, aber irgendwann wollen wir nicht mehr durch die Gegend holpern sondern lieber wieder richtig offroad fahren. An einer geeigneten Stelle verlassen wir den geschobenen Weg und fahren zwischen kleinen Büschen und über kleine Dünen nach GPS weiter. Das macht viel mehr Spaß, als das schottrige Wellblech und es wird einem auch warm dabei. Da sich hier jeder seinen eigenen idealen Weg sucht, legen wir ab und zu Sammelpausen ein, damit niemand verloren geht. Alle sind begeistert von den weiten hügeligen Ebenen, keiner will zur Piste zurück. Kurz vor Larich erreichen wir einen artesischen Brunnen, dessen lauwarmes Wasser sich in eine kleine Senke ergießt. Daneben liegt ein prima Übernachtungsplatz. Drei Seiten sind von Buschwerk umgeben, die offene Seite wird von einem Bach begrenzt, der von der Senke des Brunnens gespeist wird. Zuerst werden die Zelte aufgebaut, dann gehen wir zum Duschen an den Brunnen. Das Wasser riecht zwar etwas nach Schwefel, aber es ist ausreichend warm. Nur wenn man unter dem Strahl herauskommt, wird es eiskalt an der Luft. Da das Wasserrohr bereits im Schatten liegt, rennen wir zum Abtrocknen ca. 30 m weit in den Sand hinaus um die Wärme der letzten Sonnenstrahlen noch einzufangen. Wir bibbern uns mit dem Handtuch trocken und mummeln uns dann in unsere warmen Klamotten ein. Leider dauert es lange, bis das Lagerfeuer endlich brennt, die Pfadfinderzeiten sind wohl schon zu lange her. Inzwischen hilft uns ein Schluck hochprozentiges weiter, natürlich nur zum desinfizieren und wärmen, nicht zum berauschen ;-)
Diese Nacht ist noch kälter als die zuvor. Sogar das Wasser in unseren Wasserflaschen ist durch und durch gefroren. Entsprechend langsam kommen auch wir nur in Wallung. Erst gegen 10:00 Uhr sind wir abfahrtsbereit. Die Sonne hat die Temperatur inzwischen auf + 7°C hochfahren, aber nur dort wo sie auch wirklich hin scheint, nicht im Schatten. Noch etwas steif gefroren hangeln wir uns an den Dünen entlang Richtung El Borma. Zwischen der Kreuzung PS12 und den Dünen vor El Borma wollen wir auf die von Ost nach West verlaufende Piste treffen. Bei diesem Vorhaben geraten wir in ein schwieriges Dünengebiet. Einige von uns stürzen mehrmals, aber wir raffen uns immer wieder auf und arbeiten uns immer weiter durch den weichen Sand. Kurz bevor wir die Piste erreichen, fällt Luigi unglücklich und hat große Schmerzen im linken Fuß. Jan fährt Luigis Maschine zum Pistenrand, danach stützen wir den Verletzten, bis er bei seinem Motorrad angekommen ist. Luigi hat üble Vorahnungen. Beim Sturz hätte es so komisch am Fuß geknackt. Den Stiefel wollen wir jetzt aber nicht ausziehen, wer weiß, ob er ihn wieder anbekommt. Fieberhaft überlegen wir, wie wir weiter vorgehen sollen. Kann Luigi in El Borma weitergeholfen werden? Bis dort hin sind es ca. 20 Kilometer Luftlinie. Mehr als eine Erste Hilfe Station wird es dort auch nicht geben. Am besten wäre es, wenn wir bis Tataouine fahren könnten, dort gibt es ein Krankenhaus. Luigi meint, dass er auf der Piste fahren könne. Also versuchen wir nach Tataouine zu kommen. Die Fahrt klappt ganz gut, auch wenn es sich für den Verunglückten endlos hinzieht. Besonders die Straße von Kambout nach Tataouine zieht sich wieder wie Gummi, vor allen Dingen auch, weil es durch den schnellen Fahrtwind wieder sehr kalt wird. Obwohl ich die dicken Motorradhandschuhe anhabe und die Griffheizung glüht, wollen die Hände nicht richtig auftauen. Der luftige Crosshelm tut sein übriges. Nach einer endlos scheinenden Zeit erreichen wir die Stadt und besorgen uns wieder im Hotel Gazelle eine Unterkunft. Ich ziehe Luigi vorsichtig den Stiefel aus - ich bin wirklich vorsichtig, aber seinem Geschrei nach reiße ich ihm den Fuß ab. Na ja, früher waren die Schiffe aus Holz und die Matrosen aus Eisen, heute ist es umgekehrt ;-) Bevor er mit dem Taxi ins Krankenhaus fährt, will sich Luigi noch duschen und bequemere Sachen anziehen. Danach begleitet Marcel ihn ins Hospital, da er am besten von uns französisch sprechen kann. Als die beiden zurückkommen, erzählen sie, dass beim Röntgen nichts festgestellt worden sei, nach vier Tagen Ruhe soll wieder alles im Lot sein. Da Luigi der Diagnose nicht traut, macht er mit dem ADAC aus, dass er und seine Maschine nach Deutschland transportiert werden. Später in Deutschland wird man feststellen, dass sein Außenknöchel gebrochen ist …
Wir lassen den nächsten Tag ruhig angehen und wollen zunächst wissen, was mit Luigi passiert. In der Zwischenzeit gehen wir einkaufen und lassen uns rasieren, checken die Maschinen und packen das Gepäck um. Als klar ist, dass Luigi noch heute geholt werden wird, machen auch wir uns für die Weiterreise fertig. Gegen Mittag verabschieden wir uns von dem Verletzten, wünschen uns gegenseitig alles Gute und starten zur nächsten Etappe. Auf der Straße fahren wir über Chenini Richtung Westen und biegen dann auf die südliche Piste nach Ksar Ghilane ab. Der Weg ist eng und ab und zu versuchen ein Oued oder einige Haufen Sand uns zu bremsen, was ihnen jedoch nicht gelingt. Einige zu schnell angefahrene tiefe Gräben bringen uns schon eher aus dem Rhythmus, aber dem guten Fahrwerk sei Dank nicht aus dem Gleichgewicht. Auf einer zugigen Anhöhe erreichen wir ein provisorisch errichtetes Café. Zeit für einen heißen Tee. Die beiden Betreiber kneten gerade Brotteig, der uns das Wasser im Mund zusammenlaufen lässt. Bis die Fladen fertig sind dauert es noch eine viertel Stunde, die wir gerne warten wollen. Zum pfannenwarmen Brot packen wir eine unserer Salamis aus – einfache Kombination, aber genial im Geschmack. Der gestillte Hunger macht die Weiterfahrt angenehmer und wir erreichen dank dem wechselhaften Untergrund recht kurzweilig die Oase. Wir bauen unser Nachtlager am hinteren Ende eines Campingplatzes auf. Jan will gleich weiter und ohne Gepäck zum Fort raus fahren. Marcel ist das momentan zu stressig, aber wir anderen schließen uns ihm an. Langsam rollen wir am warmen Pool vorbei, der auch noch auf unserer Liste steht und geben dann in den Dünen ordentlich Gas. Der Sand trägt für diese Oase ungewohnt gut und wir kommen prima vorwärts. Trotz des guten Sandes komme ich jedoch zweimal zu Fall, kann mich aber immer wieder gut aufraffen. Beim direkten Weg zum Fort hinauf, werde ich immer durch die untergehende Sonne geblendet, deshalb fahre ich zunächst an der Anhöhe vorbei und fahre von hinten zur Ruine hinauf. Jan steht schon auf den Mauern oben und schaut nach Norbert und Micha, die sich irgendwo in den Dünen tummeln. Micha versucht sich am direkten Weg zum Fort hinauf, kommt aber kurz vor der Kuppe im weichen Sand zu Fall. Schnell reißt er die Maschine hoch und packt dann auch noch die letzten Meter bis ganz oben, gefolgt von Norbert, der es ohne Sturz schafft. Nach einer kurzen Pause müssen wir zurück, denn die Sonne verschwindet schon langsam hinter dem Horizont. Der Rückweg fällt uns allen viel leichter, wir können sogar an den kurzen Dünen einige schöne Sprünge hinlegen.
Zurück bei den Zelten ziehen wir uns rasch um. Jan, Marcel und ich wollen noch in den warmen Pool - trotz der kalten Luft, aber die ist ja nur draußen kalt ;-) Wir werfen unsere Klamotten ab und springen direkt rein, ah tut das gut. Norbert und Micha besorgen was zu trinken, zieren sich dann aber wie Mädchen und wollen nicht ins Wasser. Schließlich überreden wir die beiden und letztendlich sind dann doch froh, dass sie ins warme Wasser abgetaucht sind. Es ist bereits dunkel und nur das spärliche Licht der umgebenden Cafés und Stände beleuchten den Teich. Durch die kalte Luft hat sich über dem warmen Wasser ein Nebelschleier gebildet, der dem Ganzen eine etwas gespenstische Atmosphäre gibt. Wir lassen uns im Wasser treiben, genießen die Wärme und trauen uns nicht an das Aussteigen zu denken. Nach zwei Stunden müssen wir dann doch raus. Frierend und zitternd trocknen wir uns ab und steigen in die bereitgelegten warmen Klamotten. Wir stiefeln zu den Zelten zurück und heizen die Kocher an. Während wir kochen, versucht Jan sich am Lagerfeuer, diesmal erfolgreicher und vor allen Dingen schneller als bei Larich ;-) Zum Nachtessen serviert Kassenverwalter Micha einen tunesischen Rotwein, den wir am Feuer sitzend dankbar einnehmen.
In der Nacht hören wir wie Regen auf die Zeltdächer prasselt. So ein Mist, Regen hat uns gerade noch gefehlt. Dafür ist es die bisher wärmste Nacht in Tunesien. Zum Glück ist am Morgen alles wieder trocken, nur der Himmel ist noch dunkel bewölkt. Nach dem Frühstück machen wir uns auf den Weg zum Djebel Tembaine. Zunächst bleiben wir auf der vorbereiteten Route, doch irgendwann stellen sich uns hohe Dünen mit ihren steilen Seiten entgegen. Zunächst bezwingen wir einige der Sandberge, doch auf Dauer wird das zu anstrengend für Mensch und Material. Wir beschließen die höheren Dünen in einem Bogen zu umfahren. Der Bogen wird zwar größer als erwartet, aber wir kommen bald wieder halbwegs auf den Kurs zurück. Es sind nur noch knapp 20 Kilometer bis zum Tembaine. Dafür hat der Wind stark zugenommen und der Sand in der Luft behindert die Sicht. Neue Lage, erneutes Absprechen des weiteren Vorgehens. Wir sind letztes Jahr schon in einem Sandsturm hängen geblieben, dieses Dilemma wollen wir nicht wiederholen. Also lassen wir den Tafelberg lieber in Ruhe und wenden uns doch schon Douz zu. Ab dem Café Bibane, das momentan nicht besetzt ist, geht es wieder auf einer halbwegs befahrbaren Piste weiter. Hinter der Kreuzung mit dem Turm beginnt die Piste zum Café Port du Sahara. Von rechts greifen Sandzungen nach der Piste, die sich prima als Sprungschanzen nutzen lassen. Nur wenn die Steine auf der Piste zu groß werden, lassen wir es langsamer angehen. Vor dem Café stehen schon einige Leute mit Autos und Motorrädern und lassen sich nicht vom sandigen Wind beeindrucken. Wir wollen es nicht ganz so sandig haben und trinken lieber drinnen einen windstillen Tee zum stärkenden Müsliriegel. Nach der Pause setzen wir unseren Weg fort. Die Piste nach Douz ist gut befahrbar, entsprechend rasch lassen wir die Maschinen laufen. Die verspurten Teile lassen sich mit Tempo eh am besten nehmen. Schon nach kurzer Zeit erreichen wir die Stadtgrenze. Bevor wir aber zum Campingplatz fahren, schauen wir erstmal bei Ali Baba vorbei. Das Lokal kennen wir schon länger und man kann dort prima einen Happen essen. Für einen tunesischen Salat und Brik au Thon ist immer Platz. In der Stadt ist wegen des Sahara-Festivals die Hölle los. Überall hallt total übersteuerte Musik aus Lautsprechern, viele Menschen sind auf den Straßen, einige davon in traditioneller Kleidung und mit alten Flinten „bewaffnet“. Nach einer Runde durch den Ort steuern wir dann den Campingplatz an. Fred steht dort schon bereit und empfängt uns aufs Herzlichste. Nachdem wir die Zelte aufgebaut haben, erzählt er bei einem Begrüßungsbier wie es ihm bisher ergangen ist. Eine Firma aus Douz hatte ihn und seine kaputte Suzuki bei Tiaret mit dem Pickup abgeholt und bis nach Douz gebracht. Das Ganze kostete ihn stolze 1.500 TD (ca. 1.000 Euro). Der ADAC bezahlt aber nur 350 Euro für das Bergen und Abschleppen. Jetzt ist er am Verhandeln, wie er möglichst kostengünstig aus der Sache wieder heraus kommt.
Den heutigen Tag beginnen wir ausnahmsweise wieder mal faul. (Fast) lange schlafen, gemütlich frühstücken und dann ein Spaziergang durch die Stadt. Zuerst besuchen wir Habib, den größten KTM-Fan Tunesiens. Ich habe ihm ein paar Bilder mitgebracht, über die er sich freut. Stolz zeigt er mir, dass er auch schon welche aus dem Internet runtergeladen und ausgedruckt hat. Bei einem Tee erzählt er stolz, dass momentan viele Leute da wären und er gutes Geld mit seinem Souvenirgeschäft verdiene. Zum Abschluss unseres Besuchs zeigt er uns seine DR350. Leider ist das Federbein kaputt, anscheinend ist kein Öl mehr drin, da die Dämpfung nicht mehr funktioniert. Mal schauen, wie wir ihm helfen können. Nach dem Bummel durch den Souk ist wieder mal rasieren angesagt. Danach laufen wir wieder bei Ali Baba ein und vertilgen ein riesiges Sandwich mit Harissa, Ei und Salat. Mein Mund brennt jetzt noch, wenn ich nur daran denke. Kaum sind wir wieder am Campingplatz zurück, lädt uns Marius ein, mit ihm zur Abschlussveranstaltung des Sahara- Festivals zu gehen. Schnell packen wir ein paar Sachen zusammen und laufen zum Stadion raus. Die Ränge sind voll besetzt, aber auf der Rückseite der offenen Ellipse steht kaum jemand, nur die Kamelhaarzelte der Teilnehmer. Wir marschieren auf die andere Seite und sind mitten unter den Akteuren, die momentan nicht auftreten. Allerdings sind wir auch nicht direkt am eigentlichen Geschehen des Festivals. Zumindest sehen wir noch ein Kamelrennen, eine Hetzjagd mit Windhunden, einen Dromedarkampf und zahlreiche Reiter in traditioneller Kleidung, die in Formation über den Platz galoppieren. Einer der Kavalleristen fragt Jan, ob er auch mal reiten möchte. Für 4 TD lässt er sich darauf ein. Zunächst führt der Tunesier den Hengst am Zügel, doch Jan, selbst Pferdebesitzer, möchte alleine reiten und trabt erst mal davon. Irgendwann läuft der pferdelose Reiter Jan hinterher und winkt, dass er zurückkommen solle. Doch dieser schaut extra nicht zurück und trabt fröhlich weiter. Etwas später kommt er genau zum Beginn des Finales zurück. Alle Akteure paradieren unter dem Applaus der Zuschauer vor den Sitzreihen her. Ok, etwas durcheinander ist die Parade schon, aber trotzdem schön und exotisch und wir sind mittendrin. Der Ausflug zum Stadion hat sich echt gelohnt.
Mittlerweile sind weitere Teilnehmer des Treffens auf dem Campingplatz angekommen. Nachdem auch ihre Zelte stehen, tragen wir alle möglichen Sitzgelegenheiten zusammen und sammeln uns um Fred. In seiner bekannt fröhlichen Art und Weise - wie immer mit endlosem Redeschwall :-) - begrüßt er uns alle. Danach werden Zettel mit Fragen ausgeteilt, der Gewinner wird zum Capo Nordafrika gekürt werden und darf das nächste Treffen ausrichten - das erzählt er aber erst nach der Siegerehrung ;-) Zum gemeinsamen Essen treffen wir uns im Campingplatzrestaurant. Es gibt tunesische Spezialitäten - Spaghetti ;-) wenigstens ist der Wein aus Tunesien. Nach der Fütterung der Raubtiere sitzen wir alle ums Lagerfeuer und kochen Tee. Fred packt zwei Konservendosen aus, darin befindet sich Rum und Kandis, mit dem wir den Tee aufwerten. So sitzen wir recht lange zusammen und erzählen alte und neue Erlebnisse, tauschen Erfahrungen aus und lästern natürlich auch über Freds kaputte Big …
Übermorgen geht unsere Fähre, deshalb verabschieden wir uns schon heute von Fred und von Douz. Die beiden Reisepartner von Fred, Rainer und Gerald, fahren zusammen mit uns Richtung Tunis. Zunächst rollen wir aber nach Kebili, tanken dort auf und schwenken dann nach Norden um den Chott el Fejaj zu durchqueren. Rechts vom Weg hat sich ein rosafarbener See gebildet, anscheinend hatte es hier gut geregnet. Bei Ain Guettar schwenken wir nach Osten und fahren auf den Djebel Biada zu. Die Piste über diesen Pass sind wir auch letztes Jahr schon gefahren. Sie ist ein guter Kontrast zur eher langweiligen Asphaltstraße. Die Anfahrt ist anscheinend neu hergerichtet worden, der Boden ist glatt und hart und mit Rollsplitt versehen. Entsprechend vorsichtig eiern wir um die engen Kehren. Kurz vor der Passhöhe haben wir endlich wieder eine richtige Piste unter den Rädern. Tiefe Rinnen mit dicken Steinen wechseln sich ab mit festgefahrenem Erdboden. Die Aussicht über die südlich gelegenen Ebenen, die von Bergzügen eingerahmt sind, ist grandios. Bei der Abfahrt passieren wir ein kleines Dorf. Einige Kinder stehen auf einer niedrigen Mauer am Straßenrand und winken uns zu. Einer der Buben winkt jedoch mit einer Art Machete gefährlich nahe an unseren Köpfen vorbei. Seinem Gesichtsausdruck nach führt er aber nichts Böses im Schilde, er hat halt irgendwas in der Hand, mit dem er winkt. Vorsichtshalber machen die hinter mir fahrenden einen kleinen Sicherheitsbogen um den Racker. Als wir fast ganz unten im Tal sind, gibt es einen Knall und mein Vorderrad versetzt etwas. Erschrocken klammere ich mich am Lenker fest. Was war das? Ich rolle in eine leichte Rechtskurve und schon haut es mich hin. Irgendwie schlage ich mit dem Kopf auf, während die Maschine neben mir her rutscht. Als ich mich wieder aufgerappelt habe und wir gemeinsam die Kati wieder auf die Räder stellen, bemerken wir, dass der Vorderreifen platt ist. Anscheinend bin ich auf irgendetwas draufgefahren, was dann den Schlauch perforiert hatte. Wir bauen das Vorderrad aus, hebeln den Reifen runter und untersuchen den Schlauch. Zwei ca. 15 Millimeter lange Risse klaffen im Gummi. Wahrscheinlich bin ich auf einen spitzen Stein gefahren und habe mir einen üblen Schlangenbiss eingefangen, der zum sofortigen Druckverlust und damit auch gleich zum Sturz geführt hat. Auf der rechten Seite der Maschine sind Tank und Verkleidung verkratzt und der vordere Blinker ist total zersplittert. Auch der Roadbookhalterahmen ist etwas verbogen, aber das ist auch schon alles, was passiert ist.
Nach dem der Schlauch gewechselt und der Reifen wieder aufgepumpt ist, fahren wir weiter auf die P14 zu. In einem Dorf überqueren wir eine Eisenbahnlinie sowie die Straße von Maknassy nach Gafsa und folgen einem Feldweg nach Norden. Am Horizont haben sich dunkle Wolken zusammengezogen, die uns etwas bedenklich stimmen. Wir halten uns südwestlich vom Djebel Majoura und kommen in einem leichten Linksbogen wieder auf eine Hauptstraße, die uns weiter nach Norden führt. In einem Dorf erstehen wir ein paar frische Brote und schlagen uns dann für eine Zwischenmahlzeit etwas geschützt neben einen Olivenhain. Nach der Pause muss Jan unbedingt tanken. Wir erreichen bald darauf Sidi Ali Ben Aoun. Der Ort ist kleiner als der lange Name vermuten lässt, hat aber sogar zwei Tankstellen. Die erste hat kein Superbenzin, also gleich weiter zur nächsten. Aber auch die folgende Tanke bietet nur Essence an, was wir unseren Katis nicht ohne Not antun wollen. Bei Jans Maschine ist der Kraftstoffstand leider schon im kritischen Bereich, so dass er wenigstens ein paar Liter nachfüllt, um nicht trocken stehen bleiben zu müssen. Nach einigen Kilometern Fahrt kommen wir dann nach Bir el Hafey. Dort gibt es die ersehnte Tankstelle, die auch Super anbietet. Nach dem alle Tanks gefüllt sind, beratschlagen wir den weiteren Weg. Eigentlich wollten wir noch ein paar Pisten fahren und am Abend irgendwo die Zelte aufschlagen. Aber das Wetter will uns anscheinend einen Strich durch die Rechnung machen. Wir einigen uns darauf die Nacht trocken verbringen zu wollen und deshalb bis nach Kairouan in ein Hotel durchzufahren. Also Motor an, Gang rein und Gas, damit wir noch vor Dunkelheit ankommen. Die Straße ist verhältnismäßig verkehrsreich und auch der immer stärker werdende Wind verlangt nach unserer Aufmerksamkeit. Beides lenkt wenigstens etwas von der eintönigen Asphaltfahrerei ab.
Kurz vor Kairouan suchen wir im Reiseführer nach einem günstigen aber schönen Hotel und werden auch fündig. Jan hält den Reiseführer mit dem Stadtplan griffbereit und übernimmt die Führung. In der Innenstadt wissen wir nicht weiter und fragen zwei Polizisten nach dem Weg. Die winken einen Kollegen auf einem Motorrad heran, der uns führen will. Wir folgen dem Beamten, der nichts besseres zu tun hat, als sehr zügig durch die Gassen zu rauschen und uns falsch herum durch Einbahnstraßen zu lotsen. Aber irgendwie macht es doch Spaß unter polizeilicher Anleitung etwas Verbotenes zu tun. Am Hotel angekommen übernimmt der Uniformierte auch sogleich die Verhandlungen mit dem Personal am Empfang. Auf die Frage, wo wir die Motorräder parken könnten, wird uns leider nur ein Parkplatz draußen an der Straße angeboten. Auch der angebotene Guardien kann unsere Sorge nicht ganz zerstreuen. Wir ziehen lieber weiter in unser altbekanntes Hotel Continental, bei dem wir schon oft zu Gast waren. Obwohl wir den Weg dorthin auch alleine finden würden, besteht der Polizist darauf wieder die Führung zu übernehmen. In bekannter Manier hetzen wir durch die Gassen, als ob der Leibhaftige hinter unserer Seele her wäre und biegen bald darauf in den Innenhof des Hotels ein. Hier bekommen wir super große Zimmer mit Schlaf- und Aufenthaltsraum und einen abgeschlossenen Hof mit Wächter für nur unwesentlich mehr Geld, als beim Hotel vorher. Später gehen wir zum Essen in die Stadt und finden auch rasch ein nettes Restaurant, in dem auch viele junge einheimische Leute verkehren. An der Kleidung und den Handys erkennt man, dass es wohl die Schicht ist, denen es besser geht, als den meisten Tunesiern. Die Mädchen tragen keine Kopftücher, sondern westliche Kleidung und statt scheu wegzuschauen, suchen sie eher Kontakt zu uns, was uns nicht unbedingt unangenehm ist ;-) Nach dem Abendmahl spazieren wir noch durch die Innenstadt. Der Souk ist leider schon geschlossen und nur wenige Leute sind in den dunklen Gassen unterwegs. Gerald und Rainer kaufen eine große Tüte Gebäck, so eine Art Nussecke, eine der Spezialitäten Kairouans. Als wir unsere Spazierrunde am Hotel wieder beenden, setzen wir uns noch ins Restaurant und trinken ein Bier zusammen. Am Nebentisch sitzt eine Gruppe italienischer Africa Twin Fahrer, die gerade am Aufbrechen sind. Die Mädels wünschen uns auf Deutsch ein frohes neues Jahr und stellen uns zwei fast volle Sektflaschen hin. Richtig, heute ist ja Silvester. Wir wünschen alles Gute zurück und bedanken uns für die unerwartete Spende. Nach dem die Gläser geleert sind, machen wir uns auch auf den Weg in die Gemächer. Rainer und Gerald wünschen kurz einen guten Rutsch und eine gute Nacht und sind sogleich verschwunden. Die anderen vier schauen mich etwas überrascht an. Ich erzähle, dass ich das schon von Rainer kannte, der sich Silvester 2000 in Marokko zusammen mit Fred auf gleich kurze Art und Weise von uns verabschiedete und den Jahreswechsel verschlafen wollte. Die Stunde bis Mitternacht bekommen wir auch noch gut herum, sagt Marcel. Wir besorgen noch eine Flasche Cola und ich hab ja noch die letzte Flasche Whisky - danke Marion! Wie bereits gesagt, dient dieser ja nur zu medizinischen Zwecken, da kann der Jahreswechsel ruhig auf uns zu kommen ;-)
Der Morgen beginnt so wie der Abend endete, mit grauen Wolken und Wind. Kaum sind wir aus Kairouan draußen, dürfen wir auch schon in den Regenkombi schlüpfen. Die bereits ausgearbeitete Strecke durch die Berge können wir bei dem Wetter ersatzlos streichen. Etwas missmutig bleiben wir auf den breiten Hauptstraßen und kämpfen mit dem starken böigen Wind. Wenigstens regnet es nicht mehr, seit wir die Regenhäute übergezogen haben. Zum Glück ist die Etappe nicht allzu lang, gegen Mittag schon erreichen wir die Jugendherberge in Rades. Der Klingelknopf ist rausgerissen, es ragen nur noch die blanken Drähte aus der Wand. Ich halte die blanken Spitzen aneinander, in der Hoffnung, dass die Glocke noch funktioniert, aber nichts tut sich. Wir klopfen an das Blechtor, doch auch darauf reagiert niemand. Durch den Spalt zwischen den Schiebetoren sehen wir, dass zwar ein Vorhängeschloss eingehängt ist, dieses aber offen ist. Mit einem Schraubenzieher hänge ich das Schloss aus und schiebe die Tore auseinander. In dem Moment kommt ein alter Mann aus einem Schuppen. Zuerst denke ich, dass er wegen unserer Aktion böse ist, aber es stellt sich heraus, dass er sich freut. Gerne lässt er uns ein und wir fahren durch tiefe Pfützen zum Eingang der Herberge hinunter. Hier ist alles ruhig, niemand ist da. Wir inspizieren die Gebäude. Alles ist offen, wir können zumindest einziehen. Spätestens am Abend wird schon jemand kommen. Kaum haben wir abgeladen und unsere Zimmer bezogen, kommt auch schon der „Chef“ angefahren. Wir melden uns an und bezahlen auch sofort, damit wir morgen früh ohne Verzögerung zum Hafen können. Dann erkundigen wir uns nach der Buslinie nach Tunis, denn wir haben heute noch genügend Zeit für einen Stadtbummel. Rainer und Gerald wollen mit ihren Maschinen in den Hafen fahren und sich Tickets besorgen, denn sie haben die Rückfahrt noch nicht gebucht. Wenn es klappt, wollen wir uns später in Tunis treffen.
Nach 15 Minuten Wartezeit an der Bushaltestelle, kommt der Bus endlich. Er ist voll bis unter das Dach und wir haben keine Chance einzusteigen. Wir halten zwei Taxis an (es dürfen max. nur drei Fahrgäste mitfahren und wir sind zu fünft) und fahren dann doch etwas komfortabler in die City. Den Souk haben wir schnell gefunden und Norbert lädt uns in sein Lieblings-Teelokal ein. Tatsächlich haben wir selten so einen guten Tee getrunken. Danach erkunden wir die engen Gassen mit den zahlreichen Läden und Werkstätten. Micha, der das erste Mal in Nordafrika ist, staunt nicht schlecht, wie es hier zugeht und was es alles gibt. Wir beide lassen uns noch bei einem Barbier rasieren, während sich die anderen noch etwas umschauen und nach einem geeigneten Imbiss Ausschau halten. Frisch rasiert finden wir an einer Ecke einen netten Laden, in dem uns ein älterer Mann aus halben Baguettes, Harissa, Salat, Thunfisch und Frites leckere Sandwiches bereitet. Nach der Stärkung schlendern wir weiter durch die zahlreichen fremden Gerüche und Geräusche der Märkte. Am Haupteingang verlassen wir den Souk und spazieren an der breiten Hauptstraße entlang. Auf der Verkehrsinsel zwischen den beiden Fahrspuren finden wir die abgestellten Motorräder von Rainer und Gerald. Von den beiden selbst ist aber nichts zu sehen. Ein Stückchen weiter setzen wir uns in ein Café. Die Sonne lugt gerade zwischen den Wolken durch und wärmt uns angenehm auf. Wir trinken Café au Lait und beobachten das Treiben auf der Straße. Dabei haben wir, wenn auch etwas entfernt, die beiden Maschinen etwas im Blick und können die beiden Kameraden sehen, falls sie zu ihren Enduros zurück kommen. Wir sitzen recht lange da, bis die Sonne hinter den Häusern verschwindet und es wieder recht frisch wird. Dann machen wir uns auf den Rückweg. Wir laufen noch ein Stück durch die Straßen, kaufen Brot und Käse ein. Dann halten wir wieder zwei Taxis an und lassen uns zurück chauffieren. In der Herberge packen wir unsere Kocher aus und fangen an unser restliches Fertigfutter zu kochen. Ergänzend gibt es heimische Salami und tunesisches Brot und Käse dazu. Als Nachtisch spendiert Norbert den Rum zum Tee. Rainer und Gerald sind auch nach dem Essen immer noch nicht aufgetaucht. Wir machen uns langsam Sorgen. Leider haben wir auch keine Handynummer von ihnen. Ich versuche Fred zu erreichen, ob er die Nummern hat, aber der hat sein Telefon ausgeschaltet. Zwischendurch gehen wir abwechselnd zum Tor, um zu schauen, ob sie vielleicht doch draußen stehen und nur der Wächter nicht auf macht. Doch es ist nichts zu sehen und auch der Wächter weiß von nichts. Erst als wir schon eingeschlafen sind, tauchen die beiden auf. Sie erzählen, dass sie zunächst etwas in Tunis versackt sind, dann haben sie den Rückweg nicht mehr gefunden und schließlich sei einem von ihnen der Sprit ausgegangen. Egal, Hauptsache sie sind gesund und wieder da. Nun können wir beruhigt weiter schlafen.
Nach dem gemeinsamen Frühstück packen wir unsere Sachen zusammen. Alles was wir auf dem Schiff brauchen, kommt in einen Rucksack, der Rest wird in den Taschen und Koffern verstaut. Wir verabschieden uns von dem Wächter und donnern in den Hafen von Rades. Donnern deshalb, weil die Nieten von der Auspuffendkappe bei Jans Maschine abvibriert sind und er nun ohne diese Kappe fahren muss. Wir kommen gerade rechtzeitig zur Bac über das Hafenbecken. Kaum sind wir drauf, schon legt sie ab. Mit der Bac spart man sich das Gekurve durch Tunis und den kilometerlangen Damm zum Hafen. Das Tor zum Fährhafen ist noch geschlossen. Wir erledigen den Papierkram und plaudern mit Leuten, die wir bereits auf der Hinfahrt kennen gelernt haben - viele Grüße an das Pärchen aus Trier! Irgendwann fängt es an zu nieseln, dass hat gerade noch gefehlt. Zum Glück macht der Hafen bald darauf auf und wir können uns unter den überdachten Abfertigungsspuren trocken aufhalten. Wieder Papierkram und Warten. Irgendwann dürfen wir endlich aufs Schiff. Zur Überfahrt nur so viel, es hat kräftig geschaukelt und das Geld für das Abendessen hätte ich mir sparen können …
Als wir in Genua ankommen, mache ich mit Fred einen Treffpunkt aus. Seine Maschine läuft ja nicht mehr und ich habe ihm angeboten, ihn und sein defektes Fahrzeug bis nach Chiasso mitzunehmen, von wo er dann abgeholt wird. Rainer und Gerald fahren auf eigener Achse nach Chiasso und wir fünf machen uns auf den Weg zu unseren Gespannen, die wir in etwa 30 Kilometer Entfernung in den Bergen bei Genua stehen haben. Hier unten scheint zwar die Sonne, aber es ist saukalt. Bibbernd fahren wir die kurvenreiche Autobahn hinauf. Als wir oben aus einem Tunnel kommen, ist alles um uns weiß vor Schnee und der Himmel ist nebelverhangen. Wir verlassen die Autobahn und arbeiten uns vorsichtig in die Berge hinauf. Die Straße ist zwar schneefrei, aber eine glatte Stelle kann man nicht ausschließen. An den Straßenrändern liegen große Haufen der kalten weißen Masse, die von den Schneepflügen von der Fahrbahn geschoben wurden. Je höher wir kommen, desto größer wird die Angst, dass die Straße bald dicht sein wird. Aber wir schaffen es dann doch bis zum Ziel. Apropos Ziel, wo sind denn unsere Gespanne? Um den Parkplatz herum ist eine ca. 2,50 Meter hohe Schneemauer errichtet, da kommen wir mit den Autos nicht heraus. Die Fahrzeuge selbst und alles um sie herum sind mit einer 40 Zentimeter hohen Schneeschicht bedeckt. Scheiße, scheiße, scheiße!!! Ich versuche Fred zu erreichen, um in auf eine längere Wartezeit einzustimmen, aber der hat sein Telefon wieder mal abgeschaltet. An der Hausmauer lehnt einsam eine Schaufel und mit dieser beginnen wir die Befreiungsaktion. Vor dem Café steht ein Pritschenwagen mit einer weiteren Schaufel. Die Insassen wärmen sich gerade an der Theke auf. Wir „leihen“ uns auch dieses Werkzeug aus und setzen die Ausgrabung fort. Nach einer halben Stunde kommt ein Traktor mit einer Baggerschaufel. Anscheinend hat jemand Mitleid gehabt und Hilfe gerufen. Mit der Baggerschaufel kommen wir natürlich viel schneller vorwärts. Zwischendurch erreiche ich Fred dann doch noch und kann ihm die Situation erklären. Als erstes befreien wir Luigis Gespann und laden meine Maschine auf. Dann fahre ich zum Hafen hinunter um Fred abzuholen, während die anderen die beiden restlichen Autos ausgraben und auch mit dem Laden beginnen. Als ich den Hafen erreiche, ist es schon dunkel. Fred ist fast zum Eisklotz gefroren. Rasch laden wir seine Big auf, dann Heizung volle Pulle an und den armen Kerl wieder auftauen. Mit den anderen treffen wir uns etwas später auf einem Autobahnparkplatz und fahren dann im Konvoi Richtung Heimat.
Unsere Tour ist nun fast zu Ende und es gehen uns viele Gedanken durch den Kopf. Bis auf Luigis unglücklichen Sturz haben wir alles prima gemeistert und wir sind froh, dass nicht mehr passiert ist. Anfänglich waren wir auch wegen der Größe der Gruppe etwas skeptisch, aber es hat alles gepasst, vom Fahrkönnen bis zur Gruppenharmonie gab es nie Anlass zu Streit oder Missgunst. Es war zwar oft saukalt, aber es war immer eine supertolle Tour!