Südkorea 2003 - Meine erste (und letzte?) Rucksack-Tour
Nach zehn Stunden Flug setzt die Maschine endlich auf dem Flugplatz Incheon auf. Noch ein Einreiseformular ausfüllen und schon stehe ich schwer beladen an der Bushaltestelle vor der Abfertigungshalle. Die Fahrt zum Hotel auf der anderen Seite von Seoul dauert fast 2 h. Eine gute Gelegenheit sich vom Bus aus schon mal auf die fremde Umgebung einzustellen. Von der Landschaft her könnte man auch irgendwo in Deutschland unterwegs sein. Bewaldete Hügel und Laubbäume umrahmen auf der Landseite her die südkoreanischen Hauptstadt. Die Vororte werden von riesigen Wohnanlagen beherrscht. Bauplätze sind auf der bergigen Halbinsel knapp, so bleibt nur der unschöne Weg nach oben, um genügend Wohnraum zu schaffen. Die Straßen sind viel breiter als in meiner Heimatstadt. Vier bis fünf Spuren nur für eine Fahrtrichtung sind eher die Regel als die Ausnahme. 10,9 Millionen Menschen brauchen halt mehr Platz als zweihundertsiebzigtausend. Was schon eindrucksvoll in den Reiseführern zu lesen war, ist hier vor Ort noch viel wahnsinniger, der Verkehr. Riesige Blechlawinen wälzen sich durch die Straßen. Doch meist steht alles im Stau. Die Motorräder dienen fast ausschließlich zum Gütertransport. Auf riesigen Gepäckträgern werden voluminöse Güter durch die kaum vorhandenen Verkehrslücken dirigiert. Manche Maschinen haben zusätzliche Stoßdämpfer an der Schwinge, um die schwere Last besser auszuhalten. Die Bürgersteige sind voll mit Menschen, die wie Ameisen scheinbar wild durcheinander, aber dennoch zielstrebig herumwuseln. Der Hangang River trennt die Stadt in zwei Teile. Auf einer der zahlreichen Brücken überqueren wir den Fluss. Am anderen Ufer überkreuzen sich die Straßen in drei Stockwerken übereinander. Der Bus schiebt sich langsam zwischen den Autos hindurch. Auf einigen Verkehrsinseln stehen mobile Werkstätten und bieten einen Reparaturservice an. Um uns herum steht Wolkenkratzer an Wolkenkratzer. Ich komme mir vor wie in einer tiefen Schlucht. Ich bin schon sehr gespannt, wie ich mich in diesem Großstadtdschungel zurecht finden werde.
Nachdem ich mein Gepäck im Hotel abgeliefert und mich frisch gemacht habe, fahre ich gleich wieder in die Metropole hinein und lande vor einem riesigen Kaufhaus. Vor der Parkhauseinfahrt winken zwei sexy Cowgirls mit Tanzbewegungen zu lauter Musik die Autos in die Tiefe. Ich kann mich gerade noch mal von dem Anblick losreißen und schaue mich in dem elfstöckigen Gebäude um. Die unteren acht Stockwerke sind voll mit Elektronikartikel, von Kameras bis zu Waschmaschinen ist alles vorhanden. Leider sind sogar die Artikel mit heruntergesetzten Preisen immer noch teurer als bei uns in Deutschland. Nix ist es mit einer günstigen Digicam oder gar mit einem billigen GPS :-( . Die oberen beiden Stockwerke beherbergen Spielsalons und kleine Restaurants. Unter den zahlreichen Lokalen suche ich mir ein nettes heraus, mal sehen was es hier so gibt. Die Bedienung kann kein englisch und ich kein koreanisch. Das Mädchen findet es teils lustig und teils ist es ihr peinlich, dass wir uns kaum verständigen können. Ständig lacht sie und dreht sich verlegen um. Also gehe ich einfach zum Koch und schaue, was er so in den Töpfen hat. Irgendwas mit Reis lacht mich an und ich zeige auf die Speise. Das Mädel sagt irgendwas mit Kimchi (eine Art Kohl, der in zahlreichen Varianten angeboten wird). Die Hauptspeise schmeckt mir ganz gut und drei einsame dünne gelbe Scheiben auf einem Tellerchen entpuppen sich als leckerer Rettich. Aber die Suppe und ein Stück nach purem Knobi schmeckendem Kohl, sind nicht so mein Fall. Als Getränk wird Leitungswasser serviert.
Nach der Mahlzeit bin ich doch recht müde, da ich auch schon über 24 Stunden ohne Schlaf auf den Beinen bin. Trotzdem kann ich erst gegen 6:00 Uhr morgens einschlafen, dafür wache ich dann erst nachmittags um 15:00 Uhr auf. Schade, da ist der Tag ja schon fast um. Die folgende Nacht ist auch ziemlich schlaflos, dennoch schaffe ich es zeitig aufzustehen und fahre mit der U-Bahn in die Innenstadt. In den folgenden Tagen möchte ich mir einige Sehenswürdigkeiten in Seoul anschauen. Aber nicht nur diese, sondern auch die Stadt an sich interessiert mich.
Auf den Straßen sieht man recht wenig Kinder, aber die Palastanlagen und Sehenswürdigkeiten sind voll mit Schulklassen. Viele Kinder winken mir zu und grüßen mit einem freundlichen Hello oder Hi. Immer wieder werde ich von Kinder und Jugendlichen angesprochen, meist von Mädchen, die ein Foto mit mir zusammen schießen wollen, scheinbar sind wir "Langnasen" ein beliebtes Motiv. Natürlich nutze ich die Gelegenheit und "schieße zurück" oder lasse mit meiner Kamera auch gleich ein Foto machen. Immer wieder wollen die Mädels auch etwas über Fußball und Fußballspieler wissen. Schade, dass ich da so wenig bewandert bin ...
Tapgol-Park
Mit dem Stadtplan in der Hand arbeite ich mich dann zum Tapgol-Park durch. Der Tapgol-Park ist nach der in ihm stehenden Pagode mit zehnstufigem Dach benannt. Leider ist diese heute von einer Stahl-/Glaskonstruktion (Schutz vor Umwelteinflüssen) umgeben, so dass man nicht viel davon erkennen kann. Es gibt hier aber auch zwei schöne Pavillons, sowie eine Anzahl Wandreliefs entlang der umgebenden Mauer. Der mittlere Pavillon diente ursprünglich zur musikalischen Unterhaltung der Königsfamilie. 1919 wurde in diesem Pavillon von Sun Pyong-Hui, dem Führer der Unabhängigkeitsbewegung, die Unabhängigkeitserklärung verlesen. Im Park steht auch eine Statue von Sun Pyong-Hui, die an seinen Kampf gegen die Besatzer erinnert. Die Reliefs zeigen einen Teil der Geschichte Koreas, von der Unterdrückung durch die Japaner bis hin zur Verlesung der Unabhängigkeitserklärung. Rund um den Park sammeln sich immer eine Menge Rentner und Pensionäre, um zu diskutieren und gemeinsam den Tag zu verbringen. Manche haben auch kleine Stände mit allerlei Nippes.
Zwischen dem Tapgol-Park und dem Gyeoungbokgung Palast - keine Angst, ich weiß auch nicht genau, wie man das ausspricht ;-) - gibt es einige Straßenzüge mit Souvenir-Shops, Restaurants usw., also eher eine touristisch erschlossene Gegend. In einer Seitenstraße, unweit des Tapgol-Parks, finde ich einen Yogyesa (buddhistischer Tempel). Hier sehe ich fast nur Frauen beim Beten. Im Hof steht eine Art Brunnen, in dem Opferkerzen angezündet werden. In einer Ecke gibt es auch eine Touristen-Info, bei der man Unterlagen zu zahlreichen Sehenswürdigkeiten erhält. Direkt darüber steht ein bunt bemaltes Dach, unter dem zwei riesige Zeremonie-Trommeln angebracht sind. Nach einigen hundert Metern erreiche ich die Palastanlage, direkt an einer riesigen Kreuzung gelegen.
Gyeoungbokgung Palast
Der Palast wurde 1395 von König Taejo im 4. Jahr seiner Herrschaft gebaut. Im Jahre 1592 wurde die Anlage von den Japanern zerstört. Von 1865 bis 1868 wurde unter Kaiser Daewongun die Palastanlage in ihrer alten Pracht wieder aufgebaut. Sein Sohn, Kaiser Gojong, nutzte diesen Palast als Regierungssitz, anstelle des Changdeokgung Palastes.
Am 8. Oktober 1895 wurde Myeongseong Hwangu, die Gemahlin des Kaisers, von japanischen Meuchelmördern in ihrem Wohnsitz, dem Geoncheonggung Palsast, umgebracht. Im Februar des folgenden Jahres floh Gojong und suchte Schutz in der russischen Gesandtschaft. Gyeoungbokgung war nun nicht mehr der amtliche königliche Palast.
1910 wurde Korea wieder von den Japanern annektiert. Dabei wurde die meisten der zweihundert Gebäude bis auf die Grundmauern zerstört. Seit 1990 wurde durch die koreanische Regierung der größte Teil wieder aufgebaut. Überhaupt wurden seit der Industrialisierung und dem wirtschaftlichen Aufschwung zahlreiche Paläste und kulturelle Stätten in Korea wieder hergestellt. Korea wurde in seiner Geschichte oft überfallen und musste unter fremder Herrschaft leiden. Die Restauration der alten kulturellen Stätten sollen das Selbstwertgefühl, den Stolz auf die eigene Geschichte und Kultur, sowie die nationale Identifikation stärken.
Auf dem Palastgelände findet man gute Beispiele für koreanische Gartenbaukunst die durch Harmonie zwischen von Menschenhand erbauten Gebäuden (Hyangwonjeong = Pavillon) und umgebendes Gelände (Amisan = Garten) charakterisiert ist. Der prächtige Gyeonghoeru Pavillon und sein künstlicher See bleiben besonders eindrucksvoll in Erinnerung. Im Borugak Pavillon findet man einen automatischen Kalender (erbaut 1434), eine Wasseruhr und eine Sonnenuhr, erfunden von Jang Yeongsil (erbaut 1438). Der erste Regenmesser der Welt wurde auch in diesem Palast erfunden und 1441 erbaut. 1443 wurde von König Sejong die Jeongeumcheong (Akademie) gegründet, die an der Erstellung eines koreanischen Alphabetes arbeitete. Im Jahre 1446 wurde hier das koreanische Alphabet (genannt Hangul, 28 Buchstaben) als offizielle Schrift festgelegt.
Volkskundemuseum
Auf dem Gelände des Gyeoungbokgung Palastes steht auch das Nationale Volkskundemuseum von Korea. Verschiedene Ausstellungen zeigen die Geschichte Koreas, das traditionelle Leben und den Zyklus von der Geburt bis zum Tod der Menschen.
Das Museum wurde 1972 erbaut und ist eine Synthese von verschiedenen traditionellen koreanischen Architekturen. Ursprünglich war hier das Nationale Koreanische Museum beheimatet. 1986 wurde das Gebäude umgebaut und seit 1993 wurde es als Nationales Volkskundemuseum wiedereröffnet.
Das untere vordere Teil des Gebäudes wurde nach der Cheongungyo (Blaue-Wolke-Brücke) und der Baekungyo (Weiße-Wolke-Brücke) an der Bolguksa in Gyeongju modelliert. Der obere Teil nach der Palsangjeon, einer Pagode mit 5 Dächern, das Original steht in Beopjusa. Das dreistöckige Gebäude auf der Ostseite ist eine Kopie des Mireukeon in Geumsansa. Das zweistöckige Gebäude an der Westseite wurde nach dem Vorbild des Gakhwangjeon in Hwaeomsa gebaut. Die Mauern des Hauptgebäudes und deren dekoratives Design suggerieren die traditionelle hölzerne Möblierung. Die Balustrade wurde der Thronhalle von Gyeongbokgung, genannt Geunjeongjeon (Halle der fleißigen Regierung) nachempfunden.
Stadtbummel, Dongdaemun Market
Ein ganzer Stadtteil voll mit Verkaufsständen, Hektik und Panik ;-) Hier sieht es fast so aus wie in den Souks von Tunis oder Marrakech. Ein totaler Gegensatz zu den riesigen Hochhäusern und dem wahnsinnigen Verkehr rundherum. Auch die Organisation nach bestimmten Warengruppen oder Zünften ist ähnlich wie in Nordafrika. In einer Straße gibt es nur Autoteile, in der nächsten werden Taschen und Rucksäcke angeboten und etwas näher an der Hauptstraße stehen die Garküchen. Hier brutzeln Fisch und Geflügel in Öl, Schnecken, Muscheln und Seidenraupen werden in Wasser gegart. Dazu gibt es eine Auswahl an scharfen Soßen oder Kimchi in verschiedenen Varianten.
Deoksugung Palast
Deoksugung war eigentlich das Zuhause von Prinz Wolsan, dem älteren Bruder von König Seongjong. Aber nachdem der Königspalast Gyeoungbokgung während der japanischen Invasion 1592 niedergebrannt wurde, diente Deoksugung ab 1593 als temporärer Königspalast. 1608 wurde König Gwanghaegun Nachfolger von König Seonjo, der die Anlage im Jahre 1611 in Gyeongungung umbenannte. Er diente noch bis 1615 als Königspalast, bis der König seine zweite Frau, Königin Inmok, hier zurückließ und von nun an Changdeokgung als Königssitz nutzte. König Gwanghaegun widerrief 1618 den Titel von Königin Inmok und von da an wurde Gyeongungung nur noch Seogung (westlicher Palast) genannt. Im Jahre 1623 wurde König Gwanghaegun von Injo besiegt, der den Thron im Palast von Jeokjodang bestieg. Der König zog nun zum Changdeokgung Palast um, der 270 Jahre lang Königspalast bleiben sollte.
1897 kehrte Kaiser Gojong von seinem Aufenthalt in der russischen Gesandtschaft zurück und erklärte Seogung wieder zum Regierungssitz. Der Palast wurde wieder in Gyeongungung umbenannt und vergrößert. Gojong lebte auch nach der Übergabe des Throns an Sunjong weiterhin in Gyeongungung, der Regierungssitz aber wechselte nach Changdeokgung. Von da an wurde der Palast Deoksugung (Palast der Tugend und der Langlebigkeit) genannt, im Geist des Betens für ein langes Leben für Kaiser Gojong. Nachdem er durch das japanische Reich, gezwungen worden war, seinen Thron abzugeben, lebte Gojong weiterhin unter der Unterdrückung des japanischen Kaisers. Gojong starb am 21.01.1919 in seinem Haus Hamnyeongjeon, auf dem Palastgelände. Sein Tod war ein direkter Auslöser für die Unabhängigkeitsbewegung im Jahre 1919.
Seoul-Tower
Zusammen mit Ingo will ich heute den Seoul-Tower anschauen. Wir suchen auf dem Subway-Plan die beste Linie, um möglichst nahe hinzukommen und fahren los. Man ist schon eine Weile unterwegs, um von einer Seite der Stadt auf die andere zu kommen. Doch irgendwann, nach unzähligen Höhenmetern, um aus den tiefen U-Bahn-Schächten wieder herauszukommen, erblicken wir wieder das Tageslicht. Um uns herum stehen lauter riesige engstehende Wohnblöcke. Nein, hier wollen wir nicht wohnen müssen. Lt. Karte sollte es nur ein kurzes Stück zu Fuß sein, um zu dem Fernsehturm zu gelangen. Allerdings sind wir fast eine Stunde bergauf unterwegs. Nass geschwitzt kaufen wir uns ein Ticket. Zunächst lassen wir unsere Blicke aber vom Fuß des Turmes aus über die Stadt schweifen. Leider ist es ziemlich diesig, kein gutes Fotowetter. Dann bringt uns der Aufzug in luftige Höhen. Von hier aus ist zwar die Übersicht noch besser, die Sicht als solches leider nicht. Wir warten dann noch eine ganze Weile, bis es dunkel ist, damit wir ein paar Bilder der hell erleuchteten Stadt machen können. Aber die Belichtungsmesser wollen da nicht so richtig mitspielen, außerdem spiegeln sich die Lichter der Aussichtsplattform in den Fenstern. Nix ist's mit schönen Bildern :-(
Auf der anderen Seite des Berges führt eine Seilbahn in die Stadt hinunter. Wir bevorzugen aber Schusters Rappen und klettern endlos scheinende Treppenstufen hinab. Die Abstände der Stufen sind zu lang für einen Schritt, aber auch zu kurz um zwei auf einmal zu nehmen. So trippeln wir mehr, als das wir laufen können. Unser Weg endet Downtown im Namsandong Viertel. Hier reihen sich Restaurants, Fressbuden, Geschäfte und Bier-Bars aneinander. Die Leuchtreklamen werfen grell-bunte Lichter auf den überfüllten Straßen. Ein Sportstudio hat seine Trainingsräume über mehrere Stockwerke verteilt, direkt an den großen Fenstern trainieren die Leute, als wären sie lebende Schaufensterpuppen, das sieht sehr lustig aus. Hier werden wir auch von älteren Jugendlichen angesprochen. Die übliche Fragerei, woher wir kommen, wie uns alles gefällt und ob sie ein Foto mit uns machen dürften. Eigentlich haben wir großen Hunger. Aber entweder sieht das Essen noch zu sehr nach lebendem Tier aus oder die Preise sind unverschämt hoch, oder beides zusammen. Die Lokale wo die Speisen "essbar" aussehen und die Preise einigermaßen im Rahmen sind, sind leider überfüllt. Nach einigen "Kilometern", die wir durch die Gassen wandeln, finden wir einen Laden, wo wir es wagen wollen. Ingo wählt Fisch, ich Fleisch, die Soßen und die Beilagen (Kraut, Reis, Suppe) sind bei beiden Menüs gleich. Nächste Schwierigkeit, wir essen mit Stäbchen. Natürlich kennt man die vom China-Restaurant, aber irgendwie stelle ich mich hier blöd an. Bei Ingo klappt es dagegen prima. Die Wirtin lacht auch und will mir einen Löffel bringen, doch ich lehne stolz ab. Jetzt wird so lange probiert, bis es klappt. Und richtig, irgendwann ist auch mein Teller leer, sogar einzelne Reiskörner kann ich nun mit Stäbchen aufnehmen und schaffe es damit auch meist bis zum Mund ;-) Nach dem Essen haben wir noch ein ganzes Stück zu laufen und arbeiten uns durch die überfüllten Straßen. Überall stehen beleuchtete Fressbuden oder Stände mit irgendwelchem Nippes auf dem Gehweg. Wenn die Straße verstopft ist, fahren die Motorräder auch mal über den vollen Gehweg, ohne Rücksicht auf Verluste. Müde und überwältigt von den Eindrücken erreichen wir "unsere" U-Bahn Station. Fünfunddreißig Minuten Fahrt und noch mal zehn Minuten mit dem Bus trennen uns jetzt noch von unseren Betten.
Rockkonzert
Mittlerweile bin ich in ein Backpacker-Hotel umgezogen. Hier lerne ich einen Haufen netter interessanter Leute kennen. Detlev aus Hamburg (lebt derzeit in Thailand), Jaipi aus Japan, Eugen aus den USA (aber gebürtiger Koreaner) und der koreanische Student mit dem unaussprechlichen Namen, den wir wegen seiner Frisur einfach Pumuckl nennen. Pumuckl lädt uns zu einer Feier an seiner Uni ein, die unweit von hier sei. Das Unweit relativiert sich hier aber schnell. Zuerst sind wir eine geschlagene Stunde mit der Subway unterwegs. Dann steigen wir in einen Bus um, der noch mal eineinhalb Stunden unterwegs ist. Ob wir hier jemals wieder heim finden? Von der Bushaltestelle aus sind es noch mal zehn Minuten zu Fuß den Berg hinauf. Hier oben ist ein Sportgelände, auf dem eine große Bühne aufgebaut ist. Hier sollen anscheinend von einem Radiosender organisiert (sozusagen SWR3 auf koreanisch), einige koreanische Pop-Künstler auftreten. Rundherum stehen Fressbuden. Da die Gruppen noch nicht spielen und die Musik aus der Konserve kommt, wollen wir uns zuerst etwas stärken. Pumuckl und Eugen übersetzen die spärlich Speisekarte. Wir teilen zu fünft jeweils drei Portionen Omelette mit Kimchi und gebratenes Schweinefleisch (das war auch schon alles, was auf der Karte steht ;-) ) Dazu nehmen wir je ein koreanisches Bier. Umgerechnet legen wir dafür insgesamt 44 US-Dollar hin! In einer Fressbude auf einem Uni-Campus? Was kriegen die hier an BAFÖG? OK, dafür ist die Live-Musik umsonst, trösten wir uns. Die Mucke ist gar nicht mal so schlecht. Die Mädels kreischen, die Jungs johlen und fast alle schießen Bilder mit ihren Handys. Bei den romantischen Liedern werden keine Feuerzeuge entzündet, wie bei uns. Nein, hier werden die leuchtenden Displays der Handys hin und her geschwenkt. Kein Gefühl mehr für echte Stimmung bei den Kids von heute ;-)
Inzwischen ist es ziemlich kalt geworden. In Seoul hatten wir immerhin 23-25°C. Wir wussten aber nicht, dass wir soweit hinaus in die Berge fahren, deshalb haben wir alle - bis auf Pumuckl, der einzige, der wusste wohin es geht - nur T-Shirts an. Detlev und ich wollen zunächst früher zurück fahren, doch Pumuckl bittet uns noch zu bleiben und gemeinsam zurückzufahren. Wir willigen ein, wollen uns jedoch bei den Fressbuden aufwärmen gehen. Wir kommen auf jeden Fall zurück, schärft Detlev ihm noch ein. An einer der Buden stellen wir uns etwas in den Windschatten und bestellen einen heißen Kaffee. Hm, einen Dollar für einen Becher löslichen Kaffee? Ich will hier ja nicht ständig auf den Preisen rumreiten, aber woher nehmen die koreanischen Studenten nur das ganze Geld? Da uns wirklich kalt ist nehmen wir den teuren Kaffee. Im Gegensatz zu den heimischen löslichen Sorten schmeckt der sogar ganz gut - oder bilden wir uns das nur wegen der wärmenden Wirkung ein? Wir drängeln uns zurück, direkt vor die Bühne und zwängen uns in die Menge. Hier zwischen den Leuten ist es auch recht warm und so johlen und singen wir im Gedränge mit, das heizt auch uns ein. Einige Zeit später gehen wir zu den anderen zurück. Aber die sind nicht mehr da. Wir suchen noch mal vor der Toilette und an den Fressbuden, nichts. Da sind die Säcke schon vor uns abgehauen. Wir laufen zur Bushaltestelle zurück. Hier stehen einige Leute und warten wie wir. Wir sprechen sie an und fragen ob und wann ein Bus käme. Doch die meisten können kein Englisch. Die ein oder anderen sagen, ja da käme ein Bus, aber dann steigen sie in ein Auto ein, mit dem sie abgeholt werden. Mist, was machen wir jetzt? Nach einer Stunde Wartezeit versuchen wir per Anhalter weiterzukommen, aber das ist hier nicht üblich und keiner nimmt uns mit. Irgendwann taucht plötzlich ein überfüllter Bus auf, den wir anhalten. Detlev zeigt sein Ticket von der Herfahrt und versucht dem Busfahrer zu erklären, dass wir nach Seoul wollen. OK, er hat verstanden und nimmt uns mit. Glücklich bezahlen wir unser Ticket. Wir sind froh, dass wir von hier wegkommen. Im Bus ist es mollig warm, doch das scheint den Fahrer (wir stehen direkt hinter ihm) zu stören und er öffnet sein Fenster und schaltet die Lüftung ein. Brrr, sogleich wird es wieder kalt. Dann müssen wir uns doch an die Mädels drücken, die sich um uns drängen. Ist ja auch nicht soo schlecht ;-)
Der Busfahrer lässt es auf der Autobahn richtig krachen. Er überholt links wie rechts, schlängelt sich mit eingeschalteter Warnblinkanlage zwischen den Autos durch. Die Nadel des Drehzahlmessers steht am roten Bereich an, der Tacho zeigt stolze 140 km/h. Mir gehen die zahlreichen Busunglücke der letzten Zeit durch den Kopf ... Plötzlich eine starke Bremsung und der Bus biegt auf einen Parkplatz ab. Eines der Mädels hier vorne muss auf Toilette. Kaum ist sie zurück, tritt er das Gaspedal wieder bis zum Anschlag durch. Die kurvige Ausfahrt in Seoul nimmt der Fahrer mit 95 km/h, wir können uns kaum festhalten, sind zum Glück auch charmant gepolstert ;-) In der Stadt stehen wir dann im obligatorischen Stau. Der Busfahrer hat es so eilig gehabt, damit seine Gäste noch die letzte U-Bahn bekommen. Nun wird es ganz schön knapp werden. Endlich an der Subway-Station, rennen alle aus dem Bus raus und in die Station hinunter, wir beide mittendrin. Der Fahrkartenverkäufer will uns kein Ticket mehr verkaufen, weil angeblich keine Bahn mehr fährt. "Aber wohin rennen denn die anderen Leute alle", fragt Detlev genervt den Schalterbeamten? Der zuckt nur mit den Schultern. Detlev meint, wir sollen einfach über die Schranken springen und mit den anderen weiter in die Stadt reinfahren. Zum Laufen ist es viel zu weiter und mit dem Taxi ist es viel zu teuer. Wir laufen los und kommen an einem weiteren Schalter vorbei. Der Verkäufer zeigt uns wie weit wir mit der letzten Bahn noch kommen können und verkauft uns auch zwei Tickets, endlich mal eine vernünftige Aussage. Wir rennen weiter zum Bahnsteig und - alles steht ruhig da, es sind noch drei Minuten Zeit. Warum denn dann die ganze Panik ... Wir überqueren den Hangang (Fluss) und kommen noch ein ganzes Stück weit hinter den Fluss. Dann haben wir die Endstation für heute erreicht. Von hier aus fahren wir mit dem Taxi bis in die Innenstadt und gehen den Rest zu Fuß. Die nächste Hürde ist die Tür unserer Unterkunft. Ab ein Uhr nachts ist sie verschlossen und kann von außen nicht mehr geöffnet werden. Wir haben jetzt halb zwei! Doch Detlev beruhigt mich, da sind immer Leute wach, die im Aufenthaltsraum sitzen oder draußen rauchen und uns die Tür aufmachen. Und so ist es auch heute. Wir quatschen noch ein paar Minuten mit den anderen die hier noch hocken und fallen dann endlich erschöpft ins Bett.
Demilitarisierte Zone - Grenze zu Nordkorea
Trotz der kurzen Nacht will ich heute früh raus. Ich habe eine Fahrt zur demilitarisierten Zone (DMZ) an der Grenze zu Nordkorea gebucht. Um kurz nach Sieben verlasse ich schon das Haus und mache mich auf den Weg zum Abfahrtspunkt vor dem Deoksugung Palast. Unterwegs frühstücke ich in einem Donut-Café, dann ziehe ich noch Geld an einem Bankautomaten und bin nun well equipped für die Tour. Mit mir zusammen sitzen noch drei Portugiesen, zwei Franzosen, vier KanadierInnen und einige AmerikanerInnen im Kleinbus. Während der Fahrt zur Grenze erzählt Sally, unsere Reiseführerin, schon einiges zum geschichtlichen Hintergrund. Dabei wird sie dreimal von ihrem klingelnden Handy unterbrochen. Jeder normale Reiseführer würde das Gespräch wegdrücken, aber Sally unterbricht lieber ihre Infos für uns und quatscht am Telefon. Typisch koreanisch? Kurz vor unserem ersten Stopp wird der Kanadierin neben mir schlecht. Ich öffne das Fenster, damit sie frische Luft bekommt und frage, ob ich den Bus lieber anhalten soll. Doch sie hofft noch aushalten zu können und hält sich eine Tüte vor das Gesicht. Ich weiß nur eines, wenn sie kotzt, dann kotze ich auch. Mir wird im Bus auch immer schlecht, aber solange ich den Geruch von Erbrochenem nicht wahrnehme oder ich das Geräusch eines sich übergebenden nicht höre, kann ich es aushalten. Ich habe keine Tüte, nur die Hoffnung ... Glücklicherweise hält der Bus endlich und das Mädel kann mit dem kompletten Mageninhalt das Fahrzeug verlassen.
Zunächst besichtigen wir die Reunification-Bridge, eine Eisenbahnbrücke die über den XX-Fluss auf die nordkoreanische Seite führt. Im Niemandsland liegen Felder, die mit einer speziellen Genehmigung von südkoreanischen Bauern tagsüber bewirtschaftet werden dürfen. Beiderseits des Flusses sind Stacheldrahtzäune und Befestigungen, die an die ehemalige innerdeutsche Grenze erinnern. Hier steigen wir dann in einen anderen Bus um, passieren eine Passkontrolle und fahren zu einem Aussichtspunkt auf einem Berg. Während den Fahrten innerhalb der DMZ, müssen die Fotoapparate weggepackt werden. Fotografieren ist hier nur an ganz bestimmten Stellen erlaubt. Zunächst hält ein koreanischer Offizier, im zackigen Ton, einen Vortrag (auf englisch) und erklärt die Lage an der Grenze anhand eines "Sandkastenmodells". Danach gehen wir auf eine Art Balkon und schauen uns die Sache in Natura an. Mit Fernrohren können wir die Stadt Kaesong erkennen, in der von den Südkoreanern Industrieanlagen errichtet werden sollen. Die Rohstoffe werden vom Süden geliefert, die Nordkoreaner verarbeiten diese und die Waren sollen dann wieder in den Süden zurück fließen. Außerdem sehen wir im Dunst auf der nordkoreanischen Seite den höchsten Flaggenmast der Welt, mit der größten Fahne der Welt. Zwischen uns und Nordkorea liegen die Grenzbefestigungen und Minenfelder, die zwischen den Büschen und Bäumen kaum auszumachen sind. Fotografieren darf man nur von einem Standpunkt aus hinter einer gelben Linie. Von dort aus hat man jedoch kaum einen Einblick. Von diesem Aussichtspunkt aus fahren wir weiter zum DMZ-Info-Zentrum. Hier werden Filme über alte und neue Beziehungen zwischen Nord und Süd gezeigt. Direkt anschließend besichtigen wir eine Art kleines Museum, dass den geschichtlichen Hintergrund in Bildern und Toporamen zeigt. Außerhalb des Gebäudes kann man in den dritten von insgesamt vier entdeckten Infiltrations-Tunnels hinunterfahren. Diese Tunnel wurden von den Nordkoreanern gebaut, um unbemerkt unter den Grenzbefestigungen hindurch zu kommen und um schnell Truppen nach Südkorea einschleusen zu können. Auf der Weiterfahrt zum Bahnhof Dorasan, passieren wir ein südkoreanisches Dorf. Hier leben und arbeiten einige Familien, die von der Regierung besondere Privilegien (Steuerfreiheit usw.) erhalten haben, damit sie sich hier ansiedeln. Sozusagen die südkoreanische Version eines Propaganda-Dorfes. Mitten im Nichts steht dann der Bahnhof Dorasan. Ein modernes Gebäude mit Schalterhalle und Wartesaal. Auf der Tafel beim Ticketverkauf steht groß Pyoengyang (die Hauptstadt Nordkoreas). Eine Reise dort hin ist bisher ein großer Wunschtraum. Es werden alle Anstrengungen unternommen, dass dies möglichst bald Realität wird. Der Schienenstrang in den Norden soll Ende 2003 fertig sein. So wie es momentan aussieht, sollen dann irgendwann Südkoreaner in den Norden (zumindest in bestimmte Zonen) fahren können. Das irgendwann in naher Zukunft Nordkoreaner in den Süden kommen, ist eher unwahrscheinlich - siehe auch die ehemalige innerdeutschen Grenzbeziehungen ...
Regen am Strand
Zusammen mit Kathy aus Amerika bin ich unterwegs zu einem Strand am gelben Meer, ein Stück weit südwestlich von Seoul. Ausnahmsweise ist mal Platz im Bus, was sicher auch am eher regnerischen Wetter liegt. Von der Bushaltestelle bis zur Küste ist es noch ein ganzes Stück zu laufen. Durch den Nieselregen sind wir schon bald ziemlich nass. In Sichtweite des Meeres lässt der Regen zum Glück nach, aber trotzdem ist heute das Baden kaum möglich, so bleibt es beim Spaziergang an der windigen Küste. Der Strand ist durch eine Art Grenzbefestigung mit hohen Zäunen vom Land getrennt. In bestimmten Entfernungen stehen Wachtürme. Diese Befestigungen, die sich bis weit in den Süden hinunter ziehen, sollen das Eindringen von nordkoreanischen Kommandoeinheiten verhindern oder zumindest erschweren. An einigen Stellen gibt es Zugänge zum Strand. Ist schon ein komisches Gefühl hier entlang zu gehen, man fühlt sich fast wie in einem Gefängnishof, wenn man landeinwärts blickt. Hier ist alles menschenleer, ab und zu tanzt mal ein kleines Boot auf dem welligen Meer vorbei. Wir laufen eine ganze Weile die Küste hinunter und Kathy erzählt von ihren Erlebnissen in Japan, ihrem vorangegangenem Reiseziel, von ihrer Heimat in der Nähe von Nashville/Tennessee und von allem möglichen in ihrem Bekanntenkreis. Interessiert hört sie mir zu, als ich von dem früher geteilten Deutschland erzähle und den Parallelen hier im geteilten Korea. Die Grenzbefestigungen haben wir ja ständig vor Augen. Irgendwann finden wir einen "Ausgang", der zu einigen Häuschen führt. In einem kleinen Laden bekommen wir heißen Tee und abgepackte Kuchenstücke. Mangels Sitzgelegenheit, müssen wir im Stehen essen. Mit Händen und Füßen versuche wir zu erfragen, wo und wann hier ein Bus abfährt, aber die gute Frau im Geschäft versteht leider gar nicht, was wir wollen. So tapsen wir wir langsam los und hoffen, dass wenigstens die Richtung stimmt, um wieder zu unserer Bushaltestelle zu kommen, an der wir ausgestiegen sind. So langsam tun mir die Füße weh und mir ist kalt. Kathy ist kleidungstechnisch besser ausgerüstet, hat aber auch langsam die Nase voll vom Laufen. Glücklicherweise stimmt die Richtung, wir finden die Haltestelle und nach einer knappen Stunde kommt auch tatsächlich ein Bus.
In Seoul ist es wärmer als draußen an der Küste. Wir fallen in ein Donut-Café ein und laben uns am heißen Kaffee. Die zuckersüßen Kringel schmecken auch nicht schlecht dazu. Nachdem wir uns wieder aufgewärmt haben, laufen wir zu unserem Hotel zurück. Hier duschen wir ausgiebig und verabreden uns mit einem Japaner, der sich Hoss nennt und einem kanadischen Pärchen, Jerry und Claire, heute Abend gemeinsam essen zu gehen. Heute Abend bedeutet eigentlich jetzt gleich. Kaum geduscht, latschen wir also wieder los. Hoss führt uns durch immer kleiner werdende Gässchen, bis wir zu einem Restaurant kommen. Es gibt Häppchen aus rohem Fisch, Reisklümpchen, ein paar Bröckchen Gemüse. Das Bier müssen wir am Kiosk nebenan holen, hier gibt es nur Wasser, Tee und Sake. Nach dem Essen gehen wir noch in eine Musikkneipe. Entgegen der vorherrschenden Stimmung fließt das Bier allerdings nicht so, wie wir eigentlich Durst hätten haben wollen ;-) bei knapp vier Dollar pro Becher halten wir uns mit dem Gelage lieber zurück.
Jipdarigol Recreational Forest
Die letzten Tage bin ich wieder alleine unterwegs. Ich will in die nordöstlich von Seoul gelegenen Berge. Natürlich lande ich zunächst an der falschen der beiden großen Busbahnhöfe. Da hier keiner so richtig englisch kann, dauert es eine Weile, bis ich das schnalle. Ich düse zum anderen Bahnhof und lasse mich von einem freundlichen Angestellten bis zum (hoffentlich) richtigen Bus bringen. Nachdem der Bus voll ist, stellt der Busfahrer sich vor, knallt die Hacken zusammen und verbeugt sich. Dann geht es los. Zunächst quälen wir uns durch den Stau der Stadt, doch schon bald erreichen wir die freie Strecke. Beim Blick aus dem Fenster, habe ich wieder den gleichen Eindruck, wie bei der Fahrt vom Flugplatz nach Seoul. Ich könnte genauso gut in Mitteleuropa unterwegs sein. Nur die fremde Schrift stört den Eindruck etwas. Mittlerweile kann ich schon einige koreanische Buchstaben entziffern, aber bis ich zum Beispiel "Gyeoungbokgung" lesen könnte, was mir schon in der gewohnten Schrift Probleme bereitet ;-) dauert es sicher noch lange. Zumindest kann ich schon einige kürzere Worte wie "Seoul", "Samsung", "Busan" usw. unterscheiden. Bei den U-Bahn Stationen hatte ich mir meist nur die ersten Buchstaben gemerkt und dann die Wortlänge verglichen. Diese Methode hatte gut geklappt. Vor lauter Schauen vergeht die Zeit wie im Fluge. Der Bus hält in Chuncheon, dem "Urbanen Zentrum des Northern Lake Distrikts", wie mich der Reiseführer aufklärt. Ich will gar nicht lange in der Stadt bleiben, ein kleiner Imbiss muss reichen und vor allen Dingen mal dringend auf die Toilette. Ich kaufe mir noch etwas Obst für unterwegs ein und will gleich losmarschieren. Doch laut Karte sind es mindestens 20 Kilometer bis zum Jipdarigol Recreational Forest, da wäre ein Bus doch besser geeignet. Nach einigem Suchen und Herumfragen finde ich auch die Haltestelle, muss jedoch noch eine Stunde warten, bis es endlich losgeht. Der Bus ist voll bis oben hin und wir brauchen über eine Stunde, bis wir am Ziel sind. Da es nun schon spät am Tage ist, will ich mir eine Unterkunft suchen. Die günstigen Zimmer sind natürlich alle schon belegt, wenn mal eins frei ist, dann fängt der Preis bei umgerechnet 50 Dollar pro Nacht an. Das ist mir entschieden zuviel. Wofür schleppe ich eigentlich meinen Schlafsack mit herum? Etwas verärgert laufe ich in Richtung Wald und biege auf einen Wanderweg ein. Der Weg zieht sich den Berg hinauf und manchmal geben die Bäume den Blick auf den Soyang Lake (vermute ich) frei. Die Aussicht ist traumhaft. Zu dieser Stunde kommen mir nur noch wenige Leute entgegen, in meine Richtung läuft niemand. Als es immer dunkler wird, verlasse ich den Weg und gehe ein ganzes Stück querfeldein, bis ich einen großen Felsen finde. Hinter dem Felsen ist ein schmaler Streifen mit etwas Gras, wie gemacht für ein Bett. Ich sammele noch ein paar Arme voll Laub, da ich keine Iso-Matte dabei habe und baue mir ein "Nest". Als Abendbrot gibt es zwei Bananen und ein Henkel halb zerdrückte Trauben. Meine Trinkflasche ist leer. Vor lauter Ärger über die besetzten Zimmer bzw. die hohen Preise, habe ich versäumt mir etwas zu trinken abzufüllen. Egal, das Obst muss für heute reichen. Ich kuschele mich in den Schlafsack und lausche in die Nacht hinein.
Wie immer bin ich schon sehr früh wach. Mangels Wasser muss das Waschen heute verschoben werden. Ich packe alles zusammen und verstreue das Laub wieder im Wald. Nichts soll an meine nächtliche Anwesenheit erinnern. Ich gehe zurück zum Weg und setze meine Wanderung fort. Der Himmel ist bedeckt und die Temperatur eher kühl, das erleichtert das Laufen. Nach einer ganzen Weile bin ich im Tal unten und laufe am Seeufer entlang. An einer geschützten Stelle gluckst ein kleines Rinnsal den Berg hinunter und in den See hinein. Ob man das Wasser trinken kann? Ich versuche vorsichtig einen Schluck und beschließe, dass es trinkbar ist. Mit einem großen Blatt forme ich einen Trichter und lenke etwas von dem Wasser umständlich in meine Trinkflasche hinein. Umständlich deshalb, weil das Rinnsal sehr wenig Wasser führt und ich nichts vom Grund in die Flasche spülen will. Bei der Gelegenheit frühstücke ich gleich noch zwei Bananen, jetzt plagt mich das Gewicht auch nicht mehr im Rucksack. Ich gehe zum Weg zurück, und laufe in Richtung einer Brücke, die über einen Arm des Sees führt. Um die Stelle zu erreichen, brauche ich allerdings bis zum Nachmittag. Wenigstens ist die Landschaft schön, wenn auch wegen der fehlenden Sonne die Farben eher blass sind. Hier hinten sind die Wanderwege auch voll mit Leuten, scheinbar muss eine Ortschaft in der Nähe sein, denn weiter weg vom Schuss findet man kaum andere Wanderer. Es ist schon ein komisches Gefühl, wenn sich alle nach einem umdrehen und tuscheln. Anscheinend sind Ausländer hier selten gesehen. Oder hab ich was im Gesicht kleben, was ich mangels Spiegel nicht bemerkt habe - instinktiv streiche ich mir öfter mit der Hand über das Gesicht, ob da nicht doch noch ein Stück Waldboden hängt ;-) Nach einigen Kilometern treffe ich auf ein paar Häuser, mit einigen Imbiss- und Souvenirständen und sogar einem Bus. Da mir vom Laufen alles weh tut, versuche ich zu ergründen, wohin der Bus fährt. Wenn ich den Fahrer richtig verstanden habe, dann sollte er nach Chuncheon fahren. Ich löse ein Ticket und lasse mich zurück fahren. Im Bus ist es warm und stickig und ich nicke ständig ein. Außerdem habe ich Hunger. Tatsächlich erreiche ich auch Chuncheon. Da die Zimmer nicht billiger geworden sind und ich die Lust auf kilometerweites Latschen verloren habe, will ich wieder zurück nach Seoul. Der Bus fährt erst in einer halben Stunde ab, das reicht noch für einen Spieß mit gebratenem Fisch. Normalerweise mag ich so was eher weniger, aber etwas anderes (zumindest was mir mehr zusagen würde) gibt es nicht und der Hunger ist größer als mein wählerischer Magen. Das Zeug schmeckt gar nicht mal so schlecht, besonders mit der scharfen Soße, kann sogar ich es schlucken ;-)
Heimweh
Erst sehr spät kommen wir in Seoul an. Irgendwie habe ich die Reiselust verloren, so dass ich mich während der Fahrt endgültig entschlossen habe, eine Woche früher nachhause zu fliegen. Das Rucksackreisen macht mir doch nicht so einen Spaß, wie ich gehofft hatte. Es geht mir schon seit einigen Tagen auf den Geist, dass man immer auf irgendwelche Verbindungen warten muss und eigentlich nie bis ganz dorthin kommt, wo man eigentlich hin (oder besonders auch zurück!) will. Außerdem ist man immer mit irgendwas bepackt, was man herumschleppen muss. Nicht, dass mich jetzt jemand falsch versteht, die Verbindungen hier sind eigentlich gar nicht mal so schlecht, eher besser, als ich es von zuhause gewöhnt bin. Aber ich hatte auf meinen bisherigen Reisen immer ein eigenes Fahrzeug und war zeitlich und örtlich unabhängig. Auch die Lebenshaltungskosten sind hier alles andere als günstig, besonders die Übernachtungen. Irgendwie ist das hier nicht mein Ding. Außerdem stört mich das alleine Reisen. Ich bin zwar eigentlich nie alleine und habe dauernd nette Leute um mich herum, aber mir fehlt schon ein Reisepartner zum Gedankenaustausch. Zudem habe ich irgendwie Heimweh, vielleicht ist das der eigentlich Grund, warum mich das andere alles nervt? Egal, mein Entschluss ist gefasst, gleich morgen will ich meinen Flug umbuchen. Bis dahin komme ich in einem Motel unter. Im Zimmer ist es zu warm und der Lärm auf der Straße (und im Haus) lässt mich nicht richtig schlafen. Ich bin froh, als es endlich hell wird. Schon früh am Morgen mache ich mich auf den Weg. Die kleinen Straßen sind fast leer. Hier und da fegt jemand die Reste der Nacht beiseite. Einige wenige hetzen zur Arbeit. Ich frühstücke in einem Donut-Café und schlürfe genüsslich meinen Kaffee. Dann geht's durch den Untergrund zum Büro der Fluggesellschaft. Mein Flug wird anstands- und kostenlos umgebucht. Jetzt muss ich noch zum Abfahrtspunkt des Flughafen-Busses düsen. Kaum sitze ich drin, fährt er auch schon los und klappert die großen Hotels ab. Anderthalb Stunden später erreichen wir den Flugplatz Incheon. Einchecken, Gepäckaufgabe und bald darauf sitze ich im Flieger, klappte ja wie geschmiert.
Beim Start ein letzter Blick aus dem Fenster, auf die Bucht und die Inseln vor der Küste. Nein, meine Entscheidung hat nichts mit dem Land oder der Bevölkerung zu tun. Korea ist ein schönes Land, in dem man, obwohl es ein moderner Industriestaat ist, trotzdem eine Menge Exotik erleben kann. Der Grund liegt allein an mir und meiner eingefahrenen Art zu Reisen, dass muss ich mir schon selbst eingestehen ...